Donnerstag, 22. Dezember 2011

Ein nachahmenswerter Weg

In einer Zeit, in der Politiker verschiedener Couleur die Vorurteile einiger Bürger zu emotionaler Stimmungmache mißbrauchen, schlägt ein Ingolstädter Pfarrer einen nachahmenswerten Weg ein, der zum Abbau von Mißtrauen und zu einem friedlichen Miteinander im Alltag führen soll. Pfarrer und Kammerer Hans Eichenseer verschickte im Juli einen Pfarrbrief an die Mitglieder der Pfarrgemeinde St. Canisius, worin eine kleine, einsame Dohle neben einem mächtigen Gipfelkreuz abgebildet ist. Das Bild ist von folgendem Text umrahmt:

"Liebe Pfarrgemeinde! Armselig und verloren scheint das Dasein einer unscheinbaren Bergdohle unter dem mächtigen Gipfelkreuz auf dem Bild nebenan. In Wirklichkeit beherbergt sie eine großartige Welt: Bergmassive, die Jahrmillionen der Erosion standgehalten haben, einen Horizont, der sich ins Unendliche zu weiten scheint, sowie weite Hänge, die Nahrung und Brutstätten bieten. Sie fühlt sich am Berg daheim, ist ein Teil der Natur. Ihr gehört der Gipfelraum genauso wie die Luft, die sie empor trägt. Sie ist verwurzelt in ihrer Welt.
Verwurzelt sein - das ist etwas Schönes und Notwendiges. Vielen Menschen ist heute das Daheimsein, das Land der Kindheit genommen. Die einen finden sich nicht mehr zurecht in unserer Zeit. Sie suchen vergeblich Ruhe, Idylle und überschaubare Räume ihrer Jugendzeit. . . .
Das Pfarrfest ruft Jahr für Jahr zum gemeinsamen Feiern in die Kirche und auf die Festwiese. Pfarrer und Helfer freuen sich auf jeden, der sich nicht ausschließt und diese 'Gipfelstunden' im Bann des Kirchturms von St. Canisius sucht. Seit etwa 10 Jahren wächst unsere Pfarrei wieder, nicht zuletzt auch dank der Aufnahme und des Zuzugs von Aussiedlern. Doch scheint es für viele von ihnen sehr schwer zu sein, sich einzugewöhnen. Mehr noch als den demokratischen Parteien muß es der Kirche ein Anliegen sein, zu integrieren, Mißverständnisse auszuräumen, im täglichen Leben aufeinander zuzugehen und   einem guten Miteinander den Weg zu ebnen.
Schon im Januar haben Pfarrgemeinderat und Kirchenverwaltung dem Vorschlag zugestimmt, beim heurigen Pfarrfest vor allem auch die Aussiedlerfamilien an das Fest heranzuführen. . . .   
Am Sonntag, dem 9. Juli, laden wir alle Aussiedler herzlich zum Festgottesdienst mit ein. Lassen Sie sich an diesen Tagen genauso selbstverständlich und selbstbewußt in der Nähe des renovierten Kirchturms nieder - sei es im Kirchenschiff oder auf dem Festplatz - wie der kleine Gast unter dem Dolomitengipfelkreuz. Fühlen Sie sich wie daheim! Es würde alle, die zum Pfarrfest einladen, freuen. Ihr Pfarrer Hans Eichenseer"   

In seiner Predigt im Festgottesdienst am Sonntag, dem 9. Juli, zog Pfarrer Hans Eichenseer bildhafte Parallelen zwischen Ereignissen der Bibelgeschichte und dem Schicksal der Aussiedler. Viele Banater Schwaben lauschten ergriffen den Worten des Predigers, der mit besonderem Nachdruck den Leidensweg der Banater Schwaben von der Aussiedlung über geleistete Pionierarbeit, Kriegsopfer, Deportation, bis zu ihren Aussiedlungsgründen schilderte. Mahnend klang der Appell des Priesters von der Kanzel gleichermaßen an Alt- wie Neubürger, Toleranz und Verständnis im Umgang miteinander walten zu lassen.

Als die schweigenden und nachdenklichen Menschen die Kirche verließen, zeigte der Herrgott ihnen auf wunderbar einfache Weise, wie die Zukunft zu bewältigen ist. Er ließ es pünktlich zum Beginn des Pfarrwiesenfestes in Strömen regnen und alle saßen dicht beieinander im kleinen Festzelt - eine kleine Welt des Friedens, bei Gegrilltem und Faßbier.

Die Kunde von diesem Pfarrfest ging schnell über die Grenzen der Pfarrgemeinde St. Canisius, im Ingolstädter Stadtviertel Ringsee, hinaus. Johann Metzger, der Vorsitzende des Kreisverbandes Ingolstadt der Landsmannschaft der Banater Schwaben, bedankte sich in einem Brief bei Pfarrer und Kammerer Hans Eichenseer und verwies darin auf den integrationsfördernden Effekt, den solche Veranstaltungen zwangsläufig haben müssen.
Anton Potche

aus BANATER POST, München, 20. August 1989

Samstag, 10. Dezember 2011

Stimmungsvoller Dorfsonntag

Kerwei '71 in Jahrmarkt / Maipaamreisse in Blumental / Musikanten-Jubiläum in Tschanad

Der erste heurige Kerweisonntag des Kreises ist vorbei. Die Heckengemeinde Jahrmarkt hat den Anfang gemacht. Nun wird sich Fest an Fest reihen, bis im November das letzte "Was han mer heit" verklungen sein wird. Doch auch andere Feieranlässe ließ man nicht ungenützt. In Blumental brachte am Sonntag das Maipaamreisse das ganze Dorf auf die Beine, und in Tschanad veranstalteten die Musikanten eine Jubiläumsfeier. Ein Sonntag der guten Stimmung also.
Jahrmarkt (NBZ). 

Weder der Regen am Samstag noch der am Sonntag konnte hier das schöne Kerweifest und die gute Stimmung beeinflussen. Die 22 Paare waren mit Leib und Seele dabei, und das ganze Dorf und die zahlreichen Gäste konnten sich mitfreuen und mitunterhalten. Aber nicht nur die Unterhaltung, sondern auch die vielen Besonderheiten des hiesigen Kerweifestes erweckten Interesse. Der Strauß wird hier weder verlizitiert noch verlost, und "Vortänzer" wird der älteste Rekrut, heuer war es Franz Lindemann (Jahrgang 1952), der mit Anni Rosar ging. Das heißt, dass hier auch kein "Vortänzer" für das nächste Jahr gewählt wird. "Nohtänzer" ist der jüngste Rekrut, diesmal war es Sepp Probst, seine Partnerin Anna Sehler. Zweiter "Nohtänzer" war Franz Nix, zweite "Nohtänzerin" Anni Loris. Kerweivater Matz Probst besorgte den organisatorischen Teil, die Musikanten der Loris-Kapelle, und natürlich auch der gute Wein, sorgten für Stimmung und viel Schwung. Peter Krämer wurde am Sonntag durch Losentscheid zum Hutgewinner, gestern verloste man das Tüchl. Matz Probst erhielt es als Kerweisouvenier. Abschluss findet das Fest hier gewöhnlich Dienstag abend, wenn die Kerwei (lies Weinflasche) unter den Klängen eines Trauermarsches begraben wird.

Fototext: Das Haus der Vortänzerin Anni Rosar war einer der Mittelpunkte des Jahrmarkter Kerweifestes. Zwei Wochen hindurch wurde das Fest und das dazu Nötige vorbereitet: die vielen Unterröcke und die Oberröcke wurden gewaschen, gestärkt, gebügelt und in Falten gelegt, es wurde gekocht und gebacken. Die Männer sorgten um den Wein und gute Wurst für die Kerweijugend, die sich hier versammelte (im Bild), und die zahlreichen Gäste.

aus NEUE BANATER ZEITUNG , Temeswar, 1. Juni 1971





Donnerstag, 8. Dezember 2011

Verhaltene Freude

Während vom Bayerischen Wald bis zum Atlantischen Ozean freundliche Sonnenstrahlen die Menschen in frühlingshafte Aufbruchstimmung versetzten, hingen über der ungarisch-österreichischen Staatsgrenze schwere Regenwolken. Ungarische Grenzsoldaten, noch in Winteruniform, erfaßt von einer fieberhaften Abbruchstimmung, rissen unter der Aufsicht hochrangiger Offiziere und vor laufenden Fernsehkameras die Grenzzäune zu ihren österreichischen Nachbarn nieder, als wollten sie die Frühlingssonne gegen Osten locken.

Ein Medienspektakel ohnegleichen flimmerte am Abend des 2. Mai 1989 über die Bildschirme des freien Europa. Alle Nachrichtenagenturen berichteten über das Ereignis, das zu vielen Zukunftshoffnungen berechtigt: Um 12.27 Uhr desselben Tages begannen ungarische Grenztruppen mit dem Abbau der Sperranlagen, die Ungarn von Österreich und Osteuropa von Westeuropa trennen.

Der Chor, der die erste Bresche im "Eisernen Vorhang" mit Jubel- und Lobeshymnen begrüßt hat, ist berechtigterweise groß und seine Mitglieder kommen aus allen sozialen Schichten und politischen Richtungen. Nur wir Banater Schwaben dürfen uns beim Anblick der stacheldrahtlosen Pußta nicht zügelloser Euphorie hingeben.

Schon einmal in diesem Jahrhundert durften die Banater Schwaben die Freude des deutschen Volkes über das Ende des Schreckens und seine vom Neuanfang gezeugten Hoffnungen nicht teilen. Während man sich in Deutschland einem menschenwürdigen Dasein mit entschlossenen Schritten näherte, wurden die Banater Schwaben in Zwangsarbeitslager und unwirtliche Steppen verschleppt.

Heute, nach 40 Jahren, wenn ein großer Teil Europas sich über gegenseitiges Näherkommen freut, müssen wir, die ins Mutterland zurückgekehrten Banater Schwaben, den Fall der ungarisch-österreichischen Staatsgrenze mit kühlem Realismus betrachten. Jeder von uns, der die Auswanderungsagonie schon im eigenen Herzen herumgetragen hat, kann sich vorstellen, welche Wirkung dieses Ereignis auf unsere Landsleute im Banat haben wird. Besonders junge Menschen werden der Versuchung, ihr Heil in der Flucht zu suchen, noch schwerer als bisher widerstehen. Vor dem rettenden Ufer, das für sie seit dem 2. Mai 1989 in greifbare Nähe gerückt ist, steht aber weiterhin ein schwer überwindbarer Todeswall. Die Kugeln könnten möglicherweise noch zielsicherer fliegen und die Schergen des Diktators unbarmherziger zuschlagen.

Es ist weniger die Erkenntnis, daß die vorsichtigen Demokratisierungsversuche einiger Ostblockstaaten für uns viel zu spät kommen, die uns bedrückt, als vielmehr die Tatsache, daß die ersehnte Freiheit für die Rumänen und die nationalen Minderheiten Rumäniens weiterhin Utopie bleibt.         
                                                                                                    Anton Potche

aus BANATER POST, München, 20. Juni 1989

Freitag, 2. Dezember 2011