Donnerstag, 24. Mai 2012

Pfingstfest und Kirchweih in Jahrmarkt

Der Verfasser dieses Berichtes, ein bayerischer Schwabe, der sich zu den Freunden Pannoniens zählt und sich gerne im Kreis von Heimatvertriebenen aus der ehemaligen Donaumonarchie aufhält, unternahm im vergangenen Jahr eine Pfingstreise ins rumänische Banat. Was er dabei erlebte und welche herzliche Aufnahme ihm zuteil wurde, schildert er nachstehend anschaulich. (Anm. d. Red.)
Zehn Kilometer nordöstlich von Temeswar, der Hauptstadt des Banats, liegt unser Ziel: ein Dorf mit dem lustigen Namen Jahrmarkt, mit ca. 6000 Einwohnern, vorwiegend Lothringer Ursprungs. Luzian Geier, ein Lehrer und Journalist der NEUEN BANATER ZEITUNG, einem deutschsprachigen Blatt mit seinem wöchentlichen Sonderdruck PIPATSCH in schwäbischer Mundart, hieß uns herzlich willkommen. Mato Weiland hatte unser Kommen angekündigt. Nach einem Umtrunk im Hause Geier wurden wir in die Quartiere eingewiesen. Wir mußten uns auf möglichst viele Familien verteilen, denn jeder wollte gerne auch Deutsche zu Gast haben.
Vivat Kerweih!
Es war Pfingstsamstag und wir kamen schon mitten in die Festlichkeiten hinein. Schon Wochen vorher stand das ganze Dorf im Zeichen der Kerweih: "'s gett solang vun der Kerweih geredt, bis see do is". Pfingsten und Kirchweih bilden zusammen den größten Feiertag in Jahrmarkt.
Kirchweihfest in Jahrmarkt
20./21./22. Mai 1972
An diesem Abend zieht die Musikkapelle durch das Dorf herunter. Es gibt hier zwei Kapellen, die im Konkurrenzkampf zueinander stehen wie vergleichsweise Bayern und 1860 München. Man darf auf keinen Fall sagen, eine der beiden Kapellen spiele besser. Man könnte an einen Anhänger der Gegenmusik geraten und es könnte einem schlimm ergehen.  Mit der Musikkapelle, die schneidige Märsche und schwäbische Weisen spielte, kamen junge Burschen und luden mit Wein zum Fest ein. 
Der Kerweihbub geht zu seinem Kerweihmädle und fordert sie auf, für drei Tage seine Tänzerin und Begleiterin zu sein. Oft entstehen daraus Verbindungen fürs Leben und manche Eltern von einem Kerweihmädle sehen den Burschen nicht ungern kommen. Das auserwählte Mädchen hat die Aufgabe, den Festtagshut ihres Buben schön zu schmücken. Der Kopfputz wird am Pfingstsonntagmorgen dem Burschen überreicht.
Die ganze Handlung findet unter einem Vortänzerpaar statt, das berechtigt ist, den Kerweihstrauß (Lebensbaum) zu tragen. Dieses Paar errang sich im Vorjahr durch die Ersteigerung des Kerweihstraußes das Recht, den Kerweihzug anzuführen. Die Übernahme dieses Amtes erfordert einen gefüllten Geldbeutel, deshalb werden dem Paar aus Tradition die sogenannten Geldleute, zwei Männer, gekleidet in altschwäbische Tracht, beigegeben.
Überall im Dorf stießen wir bei unseren Rundgängen und beim Miterleben des Vorabends auf freundliche Leute, deren Mundart einem Gemisch aus badischem, pfälzischem und hessischem Dialekt glich.
"Un so, liewi Landsleit, geith's uns aa! Mer kenne ärwete bis mer umfalle..."
Während unseres abendlichen Spazierganges durchs Dorf beschäftigten wir uns noch mit der Siedlungsgeschichte. Jahrmarkt wurde mit dem zweiten Schwabenzug, also um 1764, besiedelt, und zwar hauptsächlich von Deutsch-Lothringern. Man meint in Deutschland zu sein, wenn man Namen wie Schäffer, Lukas, Schmidt, Weißgerber, Volk, Wagner, Weiß, Steuer, Hummel, Jakob, Kihm usw. liest und hört.
Bekommt man gar noch Einblick in die Kirchenbücher des Ortspfarrers der ersten Siedlungsgeschichte, so sieht man, mit welcher Sorgfalt die geistlichen Herren damals gearbeitet haben. Hinter jedem Taufname liest man noch, in welchem Gebiet Deutschlands das Heimatdorf lag. Das Festhalten von Kurmainzisch, Pfälzisch, Lothringisch, Badisch, Schwarzwälderisch usw. war selbstverständlich.
Als die Banater später der ungarischen Verwaltung unterstellt wurden, ließ die Sorgfalt in der Führung der Kirchenbücher merklich nach. Dem magyarischen Pfarrherren lag nichts an der Erhaltung des Deutschtums.
Erst Josef II. führte das Deutsche als Amtssprache wieder ein. Während seiner Regierungszeit besuchte er die Banater Schwaben viermal, was mit ein Grund war, daß er als deren Lieblingskaiser - barmherziger Kaiser - galt.
In aller Herrgottsfrüh wurden wir am Pfingstsonntag durch Musik und den Ruf "Vivat Kerweih" geweckt. Allmählich sammelten sich die Paare, die Mädchen in alten Trachten, die Burschen mit schönem Kopfschmuck. Es wurde ein stattlicher Zug durch die Gassen des Dorfes bis in die Kirche. Während des Gottesdienstes segnete der Pfarrer den Kerweihstrauß, das äußere Zeichen des Festes. Nach dem Hochamt zieht der Zug zum Gemeindehaus und hier wird nun endlich getanzt bis zum Mittag.
Uns erwartet ein reichlicher Mittagstisch mit Suppe, Gesottenem, Gebratenem und ausgezeichneten Mehlspeisen als Nachtisch. Frau Wendling und Frau Kassnel, unsere beiden Hausfrauen, hatten mit viel Liebe schwäbische Kost serviert.
Nachmittags nahm das lustige Treiben auf dem Dorfplatz seinen Fortgang. Auf dem Weg dorthin beschäftigten wir uns wieder mit der Pionierzeit. Uns fielen an den blitzsauberen Häusern über den Hausnummern verschiedene Zeichen auf, die Geräte wie Eimer, Rechen, Schaufeln, Leitern usw., darstellten. Sie sind noch Überlieferungen aus der ältesten Siedlerzeit. Wenn's brennt, muß der Bewohner sofort mit dem betreffenden Gerät zum Brandplatz kommen. So wurden damals die Feuerprobleme gelöst. Von der Größe eines Morgens befindet sich bei jedem Anwesen ein in die Tiefe gehendes Grundstück.
Wie in allen kommunistischen Staaten wurde auch hier fast der ganze Besitz an Grund und Boden verstaatlicht. Bis auf einen Morgen beim Haus, der für den Eigenbedarf bebaut werden kann. In diesen Großgärten findet sich alles, was die Familie an Obst, Gemüse, Beeren, Kartoffeln und sogar etwas Wein für den täglichen Gebrauch benötigt.
Das Dorf ist schachbrettartig angelegt, mit breiten Gassen, die allerdings nicht im besten Zustand sind. Für den Ausbau der Dorfstraße ist der Staat zuständig. Regnen darf es nicht, sonst hätten wir mit unserem VW-Kombi Malheur.
Kapellmeister
Hans Kaszner sen.
Auf dem Dorfplatz geht nun das gesellige Treiben weiter. Auf der Tanzfläche wird der Kerweihstrauß versteigert. Wie schon erwähnt, ist dasjenige Paar im nächsten Jahr Vortänzer, das den Strauß ersteigert.
Diese Banater Kerweihfeste ziehen natürlich auch die Zigeuner an mit ihren Verkaufsbuden und Ringelspielen, zum Teil noch handbetrieben. Dazu wird von den zahlreichen Familienmitgliedern lautstark mit Trompete und Trommel gespielt. Hier fühlt man sich wirklich in Ivo Andrić' Zigeunerromantik versetzt.
Die Feierlichkeiten auf dem Dorfplatz mit viel Tanz gehen weiter. Als der Abend kam, wurde umgezogen ins Gemeindehaus. Hier wird nun weitergezecht, getanzt und gesungen, die ganze Nacht, ja sogar der Pfingstmontag wird ins Vergnügen mit einbezogen. Die Ausdauer der Blaskapelle ist unbeschreiblich.
Wir selbst zogen uns zurück in einen reizenden laubgängigen Hinterhof. Bei Familie Schäffer fanden wir die  Unterhaltung, die wir suchten. Das Gespräch ging auch darum, ob die Ostverträge allen Menschen Erleichterungen bringen. Mit der Zeit wird es möglich sein, daß auch die Banater Schwaben besuchsweise in ihre alte Heimat reisen können.
Beim Liedgut waren wir alle erstaunt, wie die Schwäbische Eisenbahn mit allen Strophen auswendig gesungen wurde. Es war aber nicht das einzige schwäbische Lied. Auch die rumänische Folklore kam nicht zu kurz. Überhaupt stehen die Leute loyal zu ihrem Staat. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten und des Erlaubten versuchen sie ihr Deutschtum zu wahren. Herr Schäffer ist Schuldirektor der deutschen Schule.
Am nächsten Morgen, Pfingstmontag, lösten wir uns aus dem Jahrmarkter Kirchweihfest, um andere deutsche Dörfer um Temeswar zu besuchen. So kamen wir auch in die Heide nach Lenauheim, den Geburtsort des aus dem Banat stammenden deutschen Dichters Nikolaus Lenau. Unter seinem Namen haben die Banater Schwaben in mühseliger Kleinarbeit ein Heimatmuseum errichtet. Von hier aus fuhren wir weiter nach Hatzfeld und über Gertianosch nach Temeswar. Die Hälfte der Bevölkerung ist in diesen Ortschaften bereits rumänisch. Temeswar, die Hauptstadt des Banates, einst rein deutsch-österreichisch, strahlt noch immer Vergangenheit aus. Leider reichte die Zeit nicht mehr aus, auch noch Guttenbrunn zu besuchen. Dieses Dorf wurde einst gegründet von Odenwäldern und Aussiedlern aus dem Ort Gutweil am Hochrhein bei Waldshut. Hier hätte uns vor allem der Dialekt interessiert.  

Erich Häring, Memmingen

aus Neuland, Salzburg, 9. Juni 1973

(Anmerkung des Bloggers: Obiger Artikel sowie das folgende Video beziehen sich auf das Kirchweihfest in der Banater Gemeinde Jahrmarkt im Jahre 1972. Autor sowohl des Artikels als auch des Filmmaterials ist Herr Erich Häring. Auf diesem Weg möchte ich mich herzlichst für die Überlassung der 8mm-Filmrolle bedanken.)


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