Montag, 17. Dezember 2012

Paul Celan, der Dichter aus dem Osten


Das geschichtsträchtige Jahr 1990 hat uns kaum Zeit gelassen, Gedenktage entsprechend ihrer Bedeutung zu erleben oder Persönlichkeiten der Literatur und Kunst gebührend zu würdigen. So blieb auch weitgehend unbeachtet, daß in diesem Jahr der Dichter Paul Celan 70 Jahre alt geworden wäre, hätte er vor 20 Jahren nicht in der Seine den Freitod gefunden.
Am 23. November 1920 erblickte Paul Anczel in einer deutsch-jüdischen Familie in Czernowitz (Bukowina) das Licht der Welt. Als sensibler Jüngling erlebte er die Judenverfolgung in der Bukowina und später in Rumänien, nachdem er aus der seit 1940 zur Sowjetunion gehörenden Heimat geflüchtet war. Seine Eltern ereilte in einem Vernichtungslager der gewaltsame Tod. Im Dezember 1943 kehrte Anczel nach Czernowitz zurück, um sein bereits im November 1939 begonnenes und 1941 gezwungenermaßen (Ghetto) abgebrochenes Romanistikstudium fortzusetzen. Er nahm dann das Studium, allerdings erst im Herbst 1944, wieder auf. Schon ein Jahr später verließ Paul Anczel die Sowjetunion endgültig, um in Rumänien ein neues Zuhause zu suchen. Er fand in Bukarest eine Beschäftigung als Übersetzer und Verlagslektor.
Es wird vermutet, daß der junge Anczel schon im Jahre 1944 einige seiner ersten Verse Alfred Margul Sperber anvertraut hatte. Gewiß ist, daß seine ersten Gedichte in der nur einmal erschienenen Zeitschrift AGORA veröffentlicht wurden. Die Idee, seine erste Veröffentlichung mit dem Anagramm seines Namens zu versehen, kam von Jessika Sperber, der Frau Alfred Margul Sperbers. Fortan unterschrieb Paul Anczel nur noch mit Paul Celan.
1947 begab Paul Celan sich auf den Weg, den vor ihm schon Millionen Flüchtlinge und Vertriebene bewältigt hatten. Auf der Ladefläche eines von zwei russischen Offizieren gefahrenen Militärlastkraftwagens überwand er die rumänisch-ungarische Grenze und gelangte schließlich nach Wien. Hier erschien dann auch sein erster Gedichtband Der Sand aus den Urnen. Diesen Band ließ Celan später zurückziehen, weil er viele, zwar schwer erkennbare, aber im Endeffekt sinnverändernde Druckfehler enthielt. Dieser unerfreuliche Vorfall kann schon als Beispiel dienen, wie schwer sich Verleger und später auch Leser mit den Versen des Dichters aus dem Osten taten. 
Im Juli 1948 setzte der in Wiener Literaturkreisen eben bekannt gewordene Dichter seine Reise in Richtung Westen fort. In Paris fand er schließlich seine endgültige Heimat. Paul Celan studierte hier Germanistik und Sprachwissenschaft. Er lebte mit seiner Frau, der Graphikerin Gisele Celan-Lestrange, in recht bescheidenen Verhältnissen. Den Lebensunterhalt verdiente er sich als Übersetzer und Lektor für deutsche Literatur an der Ecole Normale Supérior und natürlich als freier Schriftsteller. Dem ersten Gedichtband folgten nämlich weitere sieben Bände, die zwar in Frankreich entstanden, aber alle in deutscher Sprache geschrieben wurden und mit einer einzigen Ausnahme auch in Deutschland erschienen sind. Der Dichter selbst mied Deutschland.
Die Sprache seiner Kindheit blieb aber die Sprache seines Lebens und in ihr schrieb er seine Gedichte in einer Zeit, als man sich in Deutschland darüber stritt, ob man nach Auschwitz überhaupt noch Gedichte schreiben könne. Er schrieb in der Sprache, die er durchaus auch hätte verachten können, die er aber anscheinend als einzige brauchbare Ausdrucksmöglichkeit seiner Gefühle empfand. Und diese Gefühle waren dunkel, voller Mystik, schrecklicher Träume und Vorahnungen. Dementsprechend klingen auch die Gedichte Celans. Die Sprache ist karg, mit Metaphern durchsetzt. Symbole beherrschen die Verse. Der Leser hat es schwer, besonders wenn er nach dem schönen Gedicht sucht. Wie sollte das auch entstehen, bedenkt man, daß der Dichter die Ungeheuerlichkeiten der Ghettos und Konzentrationslager er- und überlebt hat. Alles, was ihm aus jener Zeit geblieben war, war die Sprache. Er bediente sich ihr nie zum Geißeln, aber oft zum Mahnen und Suggerieren: "Hörst du: ich rede zu dir, wenn schwül sie das Sterben vermehren. / Schweigsam entwerf ich mir Tod, leise begegn ich den Speeren."
DPaul Celan ein dichtender Wanderer zwischen den Kulturwelten war, zeigen seine hervorragenden Übersetzungen und Nachdichtungen aus dem Russischen, Französischen, Englischen und Amerikanischen, Italienischen, Rumänischen, Portugiesischen, Hebräischen. Er empfand die Dichtung als etwas universal Verständliches, ähnlich wie die Musik. Man kann sie überall in der Welt, ganz gleich in welcher Sprache sie geschrieben ist, aufnehmen und in ihr Parallelen zum eigenen Sein suchen und auch finden. In seiner Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises (22. Oktober 1960) verkündete der preisgekrönte Dichter: "Geht man also, wenn man an Gedichte denkt, geht man mit Gedichten solche Wege? Sind diese Wege nur Um-Wege, Umwege von dir zu dir? Aber es sind ja zugleich auch, unter wie vielen anderen Wegen, Wege, auf denen die Sprache stimmhaft wird, es sind Begegnungen, Wege einer Stimme zu einem wahrnehmenden Du, kreatürliche Wege, Daseinsentwürfe vielleicht, ein Sichvorausschicken zu sich selbst, auf der Suche nach sich selbst... Eine Art Heimkehr."
Paul Celan bekam außer dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung auch den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (1958), den Literaturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (1964) und bereits 1957 die Ehrengabe des Kulturpreises im Bundesverband der Deutschen Industrie. Nicht zuletzt auch dadurch hat er sich einen ewigen Platz in der Galerie der deutschen Dichter erworben. Der Dichter aus der östlichsten deutschen Kulturenklave wurde von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG als "der bedeutendste Lyriker der deutschen Nachkriegsliteratur" geehrt.
Als ein Mensch, der kreuz und quer durch die Sprachen und aus den Sprachen Europas lebte und dichtete (übersetzte), ist Paul Celan in die Literaturgeschichte eingegangen. Sein Werk erweist sich in unserer Zeit des Umbruchs und des Näherrückens mehr denn je als zeit- und grenzenlos.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 20. Januar 1991

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