Mittwoch, 30. Januar 2013

Doppeltes Familienfest in Giarmata

Ein seltenes Familienfest, das von echt schwäbischem Brauch durchwoben war, wurde in Giarmata im Hause der Familie des Josef Scheuer und dessen Gattin Anna geb. Klein begangen. Am selben Tage, als der Sohn des Hauses Josef Scheuer seine Braut Maria Ebner, die Tochter des Johann Ebner und seiner Gattin Marianne zum Traualtar führte, feierten die Großeltern des Bräutigams Ignatz Klein und dessen Gattin Katharina ihre goldene Hochzeit. Zu dem Fest waren nicht nur allein Giarmataer, sondern auch viele auswärtige Gäste eingeladen. Sogar aus Amerika war die Tante des Bräutigams, Magdalena Schneider, gekommen. Beide Paare begaben sich, begleitet von einem aus etwa 300 Personen bestehenden Hochzeitszuge unter den Marschklängen der Kreuterschen Musikkapelle zur Kirche, wo Erzdechant Nikolaus Anton eine Brautmesse hielt, wozu der Kirchenchor unter der Leitung des Kantorlehrers Ludwig Mersdorf den gesanglichen Teil besorgte. Der Messe folgte die Einsegnung des Jubelpaares durch den Erzdechant, worauf der Mertisoaraer Pfarrer Franz Jäger, der ehemals als Kaplan der Gemeinde Giarmata sehr beliebt war, eine erbauende Ansprache hielt und die Trauung des jungen Paares vollzog, indem er auch an dieses herzliche Worte richtete. Nach der Trauung sang der Mädchenkranz, dessen eifriges Mitglied die Braut war und während der man um den Altar ging, spielte die Musik den Choral "Näher mein Gott, zu Dir". Nachmittags fand im Gasthaus der Hochzeitsschmaus statt, an den sich der Tanz anschloß, der bis zum Morgengrauen anhielt.
Kreuter-Kapelle im Jahre 1948 (?)
stehend  v.l.: Franz Pless, Peter Mathis, Franz Jost, Michael Wojtek,
Kapellmeister Nikolaus Kreuter,
Hans Kelter, Josef Kassnel, Peter Cazimir, Nikolaus Kreuter jun.,
sitzend v.l.: Peter Weiland, Josef Marx, Nelu Cazimir, Michael  Dutschek

aus BANATER DEUTSCHE ZEITUNG, Temeswar, 2. März 1938

Montag, 28. Januar 2013

Eile ist geboten


Laut Meldungen von Radio Bukarest und Radio Iaşi (8.2.1991) sollen die Regierungen von England und Saudi-Arabien um rumänische Hilfe zur Unterstützung der alliierten Streitkräfte am Golf angesucht haben.
Das rumänische Parlament hat am 7. Februar bei einer Gegenstimme und drei Enthaltungen beschlossen, zwei sogenannte "Unităţi necombatante" (Nichtkampfeinheiten) in das Krisengebiet zu entsenden. Gegen diesen Parlamentsbeschluß stimmte lediglich ein Abgeordneter der Rumänischen Sozialdemokratischen Partei, der seine Ablehnung damit begründete, daß er im Kampf der Iraker "einen gerechten Kampf der Araber gegen die Aggressoren" sehe. Die zwei Lazaretteinheiten mit etwa 150 Mann Personalbestand sollen hinter der Front stationiert werden.
Victor Stănculescu, Rumäniens Verteidigungsminister, informierte das Parlament, daß das zu entsendende Kontingent nur aus Freiwilligen zusammengestellt wird. Da die bereits eingegangenen Anmeldungen bei weitem den Bedarf übersteigen, sei eine sorgfältige Prüfung der Antragsteller nötig.
Während der rumänische Solidaritätsbeitrag am Golf für die Verbündeten mehr Symbolcharakter als militärische Zweckmäßigkeit hat, ist er für die Regierung in Bukarest anscheinend von wichtiger politischer Bedeutung. Die rumänische Regierung scheint zu spüren, daß ihre Akzeptanz in der internationalen Staatengemeinschaft gewachsen ist.
Der Golfkrieg, dessen verheerende Wirkung von einer sehr effizienten Zensur verborgen wird, lenkt die Öffentlichkeit nicht nur von aktuellen Krisensituationen (Sowjetunion, Dritte Welt) ab, sondern verwischt vor allem Ereignisse, die erst vor wenigen Monaten die Welt erschütterten (Nationalitätenkonflikte in Armenien, Siebenbürgen, Bergarbeitervandalismus in Bukarest).
Sollte es nicht bald gelingen, den ruhmsüchtigen, anscheinend schon von jeglichem Realitätssinn verlassenen irakischen Diktator in die Knie zu zwingen, wird nicht nur das irakische Volk weiteres unsägliches Leid ertragen müssen, sondern viele regionale Konflikte in der Welt werden unbeachtet bleiben. Besonders die jungen, noch sehr unsicheren Demokratien in Osteuropa könnten die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit schmerzlich vermissen.
Eile beim Bezwingen des Diktators  von Bagdad ist also aus jeder Sicht geboten.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 5. März 1991

Montag, 21. Januar 2013

Jahrmarkt - Jahrmarkt - Jahrmarkt

NBZ-Dorfchronik '78
Eine magere Weide links der Landstraße, grüne Weizenfelder rechts - das war bis vor etwa zehn Jahren das Bild, das sich dem Besucher zu dieser Jahreszeit vor der Einfahrt in die Gemeinde Jahrmarkt bot. Nichts Besonderes also im Vergleich zu den anderen Ortschaften der Banater Hecke; auch was die Dorflage auf dem Hang und der rotbraune Waldboden anbelangt. Und doch war und ist diese Großgemeinde im Banat und darüber hinaus gut bekannt. Hier gibt es den in die Geschichte eingegangenen Prinz-Eugen-Brunnen, die meisten Maurer, Zimmerleute und Musikanten sowie eine sehr reiche Kulturtradition.
In dem vormals kinderreichen Kleinbauern- und Winzerdorf, in dem auch heute noch viele ältere Frauen die schwäbische Tracht tragen und das nur einen Katzensprung (13 Kilometer) von Temeswar entfernt liegt, haben in der Zeit der raschen Industrieentwicklung nach der Jahrhundertwende und dann insbesondere in den Aufbauperioden nach den Weltkriegen tiefgreifende Veränderungen stattgefunden. Der* Arbeitsmarkt bestimmte ausschlaggebend die Berufswahl. Sie (die Jahrmarkter*) wurden vor allem Baufachleute und waren in den Nachkriegsjahren beispielsweise nicht nur auf allen Temeswarer Baustellen anzutreffen, sondern auf allen Großbaustellen im Banat und von Kalan, Hunedoara, Craiova, Bukarest, Galatz bis Konstanza. Obwohl gegenwärtig sehr viele Jahrmarkter in Fabriken arbeiten und die jüngere Generation technische Berufe bevorzugt, gibt es auch heute noch rund 300 Maurer und Zimmerleute in dem Gemeindezentrum, das im Kreis Temesch die größte Pendlerzahl aufweist.
So wie Baufachleute gibt es seit vielen Jahrzehnten in jedem zweiten, dritten Haus auch Musikanten, bedingt von der langjährigen, regen Anteilnahme der Bewohner am kulturellen Leben im Ort und im ganzen Banat. Organisiertes Musik- und Gesangsvereinsleben ist dokumentarisch seit dem 19. Jahrhundert belegt. Im Dorf musizierten* mehrere Kapellen, in den 60ger Jahren waren es sogar vier. Die Musikkonkurrenz, die auch schlechte Seiten hat, und im Dorfleben manchen Ärger verursachte, hat es aber bewirkt, dass die Musikdarbietungen von hoher Qualität sind, dass das Repertoire reicher und anspruchsvoller ist, von "Blechmusik" bis "Egmont" und Jazz reicht, und dass zurzeit die Kapellen Loris und Kaszner zu den besten Dorforchestern zählen. Die Loris-Kapelle, über die kürzlich ein Farbfilm gedreht wurde, feiert Anfang August dieses Jahres ihr 70jähriges Bestehen. Ihr Leiter, Prof. Matthias Loris, führt den Dirigentenstab als Vertreter der vierten Generation dieser Familie. Der I. Preis beim Landesfestival "Cîntarea României" 1977 für die Blaskapelle und der III. für das Unterhaltungsmusikorchester waren eine verdiente Krönung der Tätigkeit der Loris-Musiker. Verfolgt man das banatschwäbische Kulturleben, so ist ersichtlich, dass Jahrmarkt nicht nur im Bereich Musik ganz vorne liegt. Unter der Leitung von Kulturheimdirektor Hans Speck und einer Gruppe Lehrkräfte wurde hier 1971 ein herausragendes, unvergessliches Trachtenfest veranstaltet, und zwei Jahre später in einem Bauernhaus in der "Alt-Gass" ein Dorfmuseum eingerichtet. Im Kulturheim wurden Theaterstücke von Hans Kehrer, Peter Riesz u.a. erstaufgeführt, beim Auftritt der Schwaben-Show im Jahrmarkter Park zählte man 2.000 Zuschauer und das erste Ausland-Dorfgastspiel des Weimarer Nationaltheaters fand nicht zufällig auch in Jahrmarkt statt.
Der Wandel in der Ortschaft, vor allem in den letzten 15 Jahren, ist auffallend. Die linke Seite der Asphaltstraße säumt jetzt, wie eine Kette, eine Reihe neuer, moderner Bauten für industriemäßige Geflügelzucht. Millionen Eier werden hier jährlich für den Export - bis in den Fernen und Nahen Osten - und dem Binnenmark geliefert. Das Bahngleis, das vor der Dorfeinfahrt die Landstraße nach Lippa überquert, musste verdoppelt werden,. Nicht nur wegen der vor  zwei Jahren errichteten Eisfabrik, sondern vor allem wegen des Transports von Tausenden Tonnen Obst - Tafeltrauben, Pfirsichen, Kirschen, Quitten, Erdbeeren - und dem Getreide, das der SLB liefert, der unter der langjährigen Leitung von Dipl.-Ing. Nicolae Dogaru, Held der Sozialistischen Arbeit, wiederholt als spartenbeste Einheit ausgezeichnet wurde.
Strand in Jahrmarkt
Foto: Oskar Renke, 1996
Jahrmarkt hat auch einen Strand, der nicht allein bei den Ortseinwohnern beliebt ist. Mit dem modernen Becken und dem Handballplatz kam hier eine Sport und Erholungsanlage zustande, die sich kaum jemand so vorstellte, als Tischlermeister Peter Oberle, der mit seiner Mannschaft auch viel bei der Einrichtung des Heimatmuseums geholfen hat, den Vorschlag dafür unterbreitet hatte. Die aufgeschlossene Gemeindeleitung stimmte zu. Die Schule, die Lehrkräfte, halfen auch hier eifrig mit, und so wurden Museum und Strand nicht nur beispielhafte Verwirklichungen, sondern das Werk der ganzen Dorfgemeinschaft, auf das nun alle berechtigt stolz sind.
Im Hof der alten Schule entstand ein neues Schulgebäude, das alte wurde inzwischen derart umgestaltet, dass es als neue alte Schule bezeichnet werden kann. Aus dieser Schule kommen viele Impulse für das gesamte Gemeinschaftsleben. Lehrkräfte wie Hans Speck, das Ehepaar Katharina und Josef Schäffer u.a. sind unermüdliche Förderer der deutschsprachigen Kultur- und Traditionspflege. Im wesentlichen ist die gesamte Entwicklung des Dorfes eigentlich ein Spiegelbild der Schule und ihrer Leistungen, ein Bild, in dem jedem, der Jahrmarkt etwa zehn Jahre nicht besucht hat, das neue Aussehen der Straßen und Häuser unbedingt auffallen wird. Nahezu die Hälfte aller Häuser wurde umgestaltet, zumindest das "Gesicht", der Giebel, und das Dach. Zehn stockhohe Häuser gibt es bereits, erfuhren wir im Gespräch mit Bürgermeister Traian Meşter und seinem Stellvertreter Josef Wagner.
Ein Gesamtbild all dieser Verwirklichungen, des Lebens und Schaffens in diesem Dorf mit der größten Anzahl deutscher Einwohner im Kreis Temesch, will der Sahia-Farbfilm werden, der über die Kerweitage gedreht wurde. Er soll im Herbst im Jahrmarkter Kulturheim erstaufgeführt werden.
Luzian Geier
(*Anmerkung des Gestalters dieses Blogs: Die Kursiv-Stellen im Text wurden von mir sinngemäß eingeführt, da der benutzte Zeitungsabriss im wahrsten Sinne des Wortes eingerissen war. )

aus NEUE BANATER ZEITUNG, Temeswar, 11. Juni 1978


Donnerstag, 17. Januar 2013

Banaterin gewinnt Bundeswettbewerb Gesang

 "Das Sonntagskonzert" im ZDF vom 27. Januar 1991 stand unter dem Motto "Junge Talente - Stars von Morgen"

Hermine May (Pressefoto)
Dem ZDF-Videotext waren zu dieser Sendung folgende Erläuterungen zu entnehmen: "Seit nunmehr über zwei Jahrzehnten veranstaltet der Verband Deutscher Musikerzieher und konzertierender Künstler für den deutschen Sängernachwuchs einen hochdotierten und vielbeachteten Wettbewerb. Nach einem spannenden Finale am 24. November 1990 standen die Preisträger unter den 249 Teilnehmern des Bundeswettbewerbs Gesang fest. Auf dem großen Abschlußkonzert in der Deutschen Oper Berlin präsentierten sich die Preisträger auch den Kameras des ZDF."
Anneliese Rothenberger führte mit jedem der jungen Künstler/innen ein Gespräch über dessen/deren künstlerischen Werdegang. Im Dialog mit Hermine May wollte die, auch als Moderatorin gut agierende, Operndiva wissen, wieso die junge Sängerin so gut deutsch spreche, wo sie doch aus Rumänien komme.
Die charmante Hermine May antwortete mit der bestechendsten Überzeugung dieser Welt: "Ich bin Donauschwäbin und lebe seit 1980 in der Bundesrepublik Deutschland."
Was die Mezzosopranistin dann auf der Bühne des ausverkauften Berliner Opernhauses bot, war eine Operettendarbietung, die bewies, daß eine niveauvoll vorgetragene Operettenarie denselben Interpretationsansprüchen gerecht werden kann wie eine Opernarie.
Quellklar, ohne die geringsten Schwankungen klang Hermine Mays Stimme in der Arie "Spiel auf deiner Geige Zigeuner" aus der Operette "Venus in Seide" von Robert Stolz (1880-1975). Wer die Expressivität dieser Stimme  und diese künstlerische Haltung wahrnahm, mußte die Entscheidung der Preisrichter billigen.
Ein Stern aus dem Südosten ist in der deutschen Opern- und Operettenszene aufgegangen. 
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 5. März 1991

Donnerstag, 10. Januar 2013

Kerweiglanz bei Regen

LG - Jahrmarkt. Der traditionelle Beginn der Kerweifeste im Kreis Temesch wurde auch diesmal, trotz des Schlechtwetters, am Sonntag in Jahrmarkt groß gefeiert. Auch diesjahr gab es zwei Kerweizüge, denen die zwei bekannten Ortskapellen, Loris und Kaszner, aufspielten. Kerweivater Matz Probst organisierte zum neunten Mal die eine Gruppe, an der sich diesmal 27 Trachtenpaare beteiligten, beim zweiten Kerweizug, mit 15 Paaren, wirkte Georg Zeich als Kerweivater (seit 1975). Die eigentliche Kerwei begann Samstag früh mit dem Ausgraben der Kerwei. Zu Mittag wurden die Ortspersönlichkeiten zur Feier eingeladen, und anschließend zogen beide Kerweizüge durch alle Straßen der Großgemeinde, um die Bewohner einzuladen. Am Abend gab es bei den Vortänzern traditionsgemäß ein Paprikasch.
Angeführt wurden die Trachtenzüge von Peter Pesch mit Marlene Tritz (Vortänzer), Peter Probst mit Anneliese Ferch (Nachtänzer), Franz Hertl und Elisabeth Klecker (2. Nachtänzer) [Foto links] bzw. Alfred Martin mit Renate Szekely (Vortänzer), Niki Loris mit Erna Mathis (Nachtänzer) und Michael Bodrogan mit Elwine Federspiel (2. Nachtänzer)  [Foto rechts].
Nach der Begrüßung der Gäste durch die Vortänzer und den hier üblichen Tänzen mit den Verwandten (Kaszner-Kapelle im Kulturheim, Loris-Kapelle auf der überdachten Tanzfläche bei der "Bodega") wurden Sonntag die Hüte verlost. Die Gewinner: Peter Wendling bzw. Mattias Bild. Tuchgewinner wurden am Montag Peter Krämer und Helmut Weber. Abgeschlossen wird das Fest heute mit dem "Begraben" der Kerwei; in zwei Wochen findet die Nachkerwei statt. Einige Aspekte des Festes wurden für den Dokumentarstreifen aufgezeichnet, den ein Team von Sahia-Film über die Loris-Kapelle unter dem Titel "Grüße aus Jahrmarkt" dreht: der Titel ist einer Komposition von Peter Loris, dem Begründer der Kapelle, entliehen. Die Kaszner-Kapelle wurde bei dem Fest von Hans Kaszner sen. und jun. dirigiert. Als Organisator wirkte ferner Michael Schneider mit.
aus NEUE BANATER ZEITUNG, Temeswar, 16. Mai 1978


Dienstag, 8. Januar 2013

Bald vorbei?


Es liegt Jahrtausende zurück, als Menschen begannen, das Gemeinschaftswesen zu entwickeln. Mächtige Staaten und riesige Reiche waren das Resultat millenarer Gestaltungsprozesse an den jeweils existierenden Gemeinschaftsformen. Seit Menschengedenken waren Aufstieg und Fall eines Reiches direkt mit dem herrschenden Inhaber der Macht schicksalhaft verbunden. Dieser wurde schon immer nach der Größe seiner Macht und nach dem Erfolg seines Expansionsdranges beurteilt. Im Bewußtsein der Menschen überlebten nur jene Herrscher, die eine erfolgreiche Eroberungspolitik betrieben. Die geographische Größe eines Reiches ist auch heute noch Maßstab für viele Historiker und geschichtsbewußte Dilettanten, wenn sie in ihren Werken oder Gesprächen über Könige und Staatsführer schreiben und reden. Daß ein rücksichtsloses Expandieren nach außen aber nur möglich ist, wenn im Innern eines Reiches absolute Ruhe, sprich Diktatur, herrscht, wird auch heute sehr leicht übersehen.
Wenn man bedenkt, daß sich das Erkennen des Zusammenwirkens von innen- und außenpolitischen Bestrebungen eines Herrschers erst seit wenigen Jahrzehnten bei den Menschen als allgemeines Zivilisationsgut durchgesetzt hat, ist dieser folgenschwere Denkfehler, dem heute viele gutgläubige Menschen unterliegen, die gegen die militärische Offensive der UNO-Alliierten am Golf protestieren, verständlich. Gelingt es nun, einen wegen der Ausdehnung seines Reiches verherrlichten König (Führer) als Diktator zu entlarven, dann beginnt sein Ansehen zu sinken. Diktatur, maximale Einschränkung der persönlichen Freiheit, ist das Schlagwort, das viele Schemata wanken läßt und Größen der Geschichte stürzen würde. Noch kein Diktator hat freiwillig auf seine Macht verzichtet, und noch kein Diktator hat die mittels Feuer und Tod begonnene Erweiterung seines Staatsterritoriums freiwillig abgebrochen.
Auch Saddam Hussein ist machtbesessen. Kein Mittel ist ihm zu heilig, um im "Heiligen Krieg" die ganze arabische Welt zu erobern. Er befindet sich mit seinen Eroberungsgelüsten freilich in bester Gesellschaft: Sargon I. (König der Akkadier), Tiglatpilesar (König der Assyrer), David (König der Juden), Nabupolassar (König der Babylonier), Kyaxanes der Große (König der Meder), Kyros (König der Perser), Harun al Raschid (Kalif der Abbasiden); um nur einige "Größen der Geschichte" zu nennen, die im ehrwürdigen Mesopotamien, dem Schoße der altertümlichen Kulturen, viel Blut für ihre Eroberungen und Machterhaltungsbestrebungen vergossen haben. Sie alle, und noch einige mehr, sind, ungeachtet des Leides, das sie über unterjochte Völker gebracht haben, als Helden, die die Welt verändert haben, in die Geschichte eingegangen. Zu ihnen will auch Saddam Hussein gehören. 
Ein Mensch, der im ausklingenden 20. Jahrhundert mit vor Stolz geschwellter Brust behauptet, die Iraker wären ein Volk von Kämpfern (ZDF-Interview mit Saddam Hussein vom 15. Januar 1990), ist das beredtste Beispiel dafür, daß die Weltanschauungen im Raum zwischen Euphrat und Tigris weit hinter den Entwicklungen Europas, Amerikas und des Fernen Ostens zurückgeblieben sind. Unabhängig von den Religionsunterschieden verharrt man hier in geistigen Strukturen, die weit in die vergangenen Jahrhunderte zurückreichen. Herrscher über die ganze arabische Welt zu sein, ist oberstes (vorläufiges) Ziel des irakischen Diktators. Und danach? Wäre die gewalttätige Ausbreitung des Islam über das ganze Erdenrund nicht der logische Folgeschritt?; ist der Islam doch bei weitem nicht die erste Religion, die zu machtheberischen Bestrebungen mißbraucht wird. Denkt man in dieser Richtung weiter, so hat man einen weltweiten Flächenbrand, verheerender als alle vorausgegangenen, vor Augen.
Die so erlangten Erkenntnisse sollten natürlich keine pazifistischen Bemühungen der bei uns wieder auf den Plan getretenen Friedensbewegung hemmen. Jede Mahnwache und jede Demonstration für den Frieden ist sinnvoll, solange sie sich gegen den Kriegsurheber und nicht gegen den Einhaltgebietenden richtet. Wer heute in Deutschland mit "Amis raus"-Spruchbändern auf die Straße geht und so ganz nebenbei noch einige Schaufenster zertrümmert, der leugnet die Geschichte seines eigenen Volkes (insofern er sie überhaupt kennt).
Obwohl die Erkenntnis, daß es keine  gerechten Kriege geben kann, uns nie verlassen darf, sollten wir doch die schmerzhafte Tatsache zur Kenntnis nehmen können, daß es manchmal unvermeidlich ist, einen Krieg zur Weltkriegsvermeidung führen zu müssen. In dieser unglückseligen Situation befindet sich zur Zeit nicht nur Amerika, sondern alle Staaten der UNO, die Truppen am Golf stationiert haben, aber auch jene, die aus rationalen Überlegungen dieses unmenschliche Waffenkreuzen als unvermeidlich erkennen können.
In Anbetracht der vielen unschuldigen Opfer, die auch dieser Krieg verschuldet, können wir nur hoffen, daß alles bald vorbei ist!
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 24. Februar 1991

Freitag, 4. Januar 2013