Dienstag, 8. Januar 2013

Bald vorbei?


Es liegt Jahrtausende zurück, als Menschen begannen, das Gemeinschaftswesen zu entwickeln. Mächtige Staaten und riesige Reiche waren das Resultat millenarer Gestaltungsprozesse an den jeweils existierenden Gemeinschaftsformen. Seit Menschengedenken waren Aufstieg und Fall eines Reiches direkt mit dem herrschenden Inhaber der Macht schicksalhaft verbunden. Dieser wurde schon immer nach der Größe seiner Macht und nach dem Erfolg seines Expansionsdranges beurteilt. Im Bewußtsein der Menschen überlebten nur jene Herrscher, die eine erfolgreiche Eroberungspolitik betrieben. Die geographische Größe eines Reiches ist auch heute noch Maßstab für viele Historiker und geschichtsbewußte Dilettanten, wenn sie in ihren Werken oder Gesprächen über Könige und Staatsführer schreiben und reden. Daß ein rücksichtsloses Expandieren nach außen aber nur möglich ist, wenn im Innern eines Reiches absolute Ruhe, sprich Diktatur, herrscht, wird auch heute sehr leicht übersehen.
Wenn man bedenkt, daß sich das Erkennen des Zusammenwirkens von innen- und außenpolitischen Bestrebungen eines Herrschers erst seit wenigen Jahrzehnten bei den Menschen als allgemeines Zivilisationsgut durchgesetzt hat, ist dieser folgenschwere Denkfehler, dem heute viele gutgläubige Menschen unterliegen, die gegen die militärische Offensive der UNO-Alliierten am Golf protestieren, verständlich. Gelingt es nun, einen wegen der Ausdehnung seines Reiches verherrlichten König (Führer) als Diktator zu entlarven, dann beginnt sein Ansehen zu sinken. Diktatur, maximale Einschränkung der persönlichen Freiheit, ist das Schlagwort, das viele Schemata wanken läßt und Größen der Geschichte stürzen würde. Noch kein Diktator hat freiwillig auf seine Macht verzichtet, und noch kein Diktator hat die mittels Feuer und Tod begonnene Erweiterung seines Staatsterritoriums freiwillig abgebrochen.
Auch Saddam Hussein ist machtbesessen. Kein Mittel ist ihm zu heilig, um im "Heiligen Krieg" die ganze arabische Welt zu erobern. Er befindet sich mit seinen Eroberungsgelüsten freilich in bester Gesellschaft: Sargon I. (König der Akkadier), Tiglatpilesar (König der Assyrer), David (König der Juden), Nabupolassar (König der Babylonier), Kyaxanes der Große (König der Meder), Kyros (König der Perser), Harun al Raschid (Kalif der Abbasiden); um nur einige "Größen der Geschichte" zu nennen, die im ehrwürdigen Mesopotamien, dem Schoße der altertümlichen Kulturen, viel Blut für ihre Eroberungen und Machterhaltungsbestrebungen vergossen haben. Sie alle, und noch einige mehr, sind, ungeachtet des Leides, das sie über unterjochte Völker gebracht haben, als Helden, die die Welt verändert haben, in die Geschichte eingegangen. Zu ihnen will auch Saddam Hussein gehören. 
Ein Mensch, der im ausklingenden 20. Jahrhundert mit vor Stolz geschwellter Brust behauptet, die Iraker wären ein Volk von Kämpfern (ZDF-Interview mit Saddam Hussein vom 15. Januar 1990), ist das beredtste Beispiel dafür, daß die Weltanschauungen im Raum zwischen Euphrat und Tigris weit hinter den Entwicklungen Europas, Amerikas und des Fernen Ostens zurückgeblieben sind. Unabhängig von den Religionsunterschieden verharrt man hier in geistigen Strukturen, die weit in die vergangenen Jahrhunderte zurückreichen. Herrscher über die ganze arabische Welt zu sein, ist oberstes (vorläufiges) Ziel des irakischen Diktators. Und danach? Wäre die gewalttätige Ausbreitung des Islam über das ganze Erdenrund nicht der logische Folgeschritt?; ist der Islam doch bei weitem nicht die erste Religion, die zu machtheberischen Bestrebungen mißbraucht wird. Denkt man in dieser Richtung weiter, so hat man einen weltweiten Flächenbrand, verheerender als alle vorausgegangenen, vor Augen.
Die so erlangten Erkenntnisse sollten natürlich keine pazifistischen Bemühungen der bei uns wieder auf den Plan getretenen Friedensbewegung hemmen. Jede Mahnwache und jede Demonstration für den Frieden ist sinnvoll, solange sie sich gegen den Kriegsurheber und nicht gegen den Einhaltgebietenden richtet. Wer heute in Deutschland mit "Amis raus"-Spruchbändern auf die Straße geht und so ganz nebenbei noch einige Schaufenster zertrümmert, der leugnet die Geschichte seines eigenen Volkes (insofern er sie überhaupt kennt).
Obwohl die Erkenntnis, daß es keine  gerechten Kriege geben kann, uns nie verlassen darf, sollten wir doch die schmerzhafte Tatsache zur Kenntnis nehmen können, daß es manchmal unvermeidlich ist, einen Krieg zur Weltkriegsvermeidung führen zu müssen. In dieser unglückseligen Situation befindet sich zur Zeit nicht nur Amerika, sondern alle Staaten der UNO, die Truppen am Golf stationiert haben, aber auch jene, die aus rationalen Überlegungen dieses unmenschliche Waffenkreuzen als unvermeidlich erkennen können.
In Anbetracht der vielen unschuldigen Opfer, die auch dieser Krieg verschuldet, können wir nur hoffen, daß alles bald vorbei ist!
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 24. Februar 1991

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