Mittwoch, 26. Juni 2013

Josefsdorf

Mit dem Aufstellen des Kerweibaums und der Einladung der Dorfpersönlichkeiten begann das diesjährige Kerweifest, an dem 14 Trachtenpaare unter den Klängen der Jahrmarkter Kaszner-Kapelle aufmarschierten. Erster Geldherr war Walter Freiheit mit Hermine Schmidts, Kerweivater war Nikolaus Freiheit. Den Rosmarinstrauß ersteigerte Hans Klein für Annemarie Helfenbein. Den Hut gewann Hans Bertmann aus Fratelia B, während das Tuch an die Josefsdorferin Margarete Kirch ging. Um das Gelingen des Festes bemühten sich u. a. Kulturheimdirektor Ludwig Prinz, Lehrer Peter Gunesch und der Kulturheimdirektor aus dem Gemeindezentrum Topolovăţu Mare Valeriu Moroşan, erfuhren wir von Hans Klein, Professor in Rente. Zum ersten Mal nach vielen Jahren wurde gestern wieder ein Schafbock ausgekegelt.

Kaszner- Kapelle, Ltg.: Hans Kaszner sen.
In verschiedenen Kleinbesetzungen hat die Kapelle
Auftritte in anderen Ortschaften  absolviert.
Hier begleitete die Kapelle im Jahre 1978 einen
Hochzeitszug in Wiseschdia.
aus NEUE BANATER ZEITUNG, Temeswar, 5. September 1978

Montag, 24. Juni 2013

Die Original Donauschwaben

Teilnehmer beim 1. Bundestreffen der Banater Blasmusikanten
"Rosen der Liebe" ist ein Walzerlied (Text: Robert Rohr), das man gelegentlich auch heute noch über den einen oder den anderen Rundfunksender zu Gehör bekommt. Es vermittelt die Universalität der Heimatliebe als lebensnotwendiges Gefühl der Menschen überhaupt und jener, die ihre Heimat verloren oder aufgegeben haben, insbesondere.
Die Original Donauschwaben haben unter anderem auch mit diesem "Blechmusikschlager" grenzüberschreitende Anerkennung gefunden. Die Grenzen zwischen Blas- und Volksmusik sind fließend. Beide Musikgenres haben sich gegenseitig befruchtet und was daraus - auch ermöglicht durch die Evolution der neuen Musikmedien - entstand, ist die heute so beliebte volkstümliche Blasmusik. Eben diesem Stil haben die Original Donauschwaben sich bereits seit ihrer Gründung im Jahre 1964 verschrieben.
Original Donauschwaben
Ltg.: Kornel Mayer (rechts)
Ihr erster Kapellmeister war Kornel Mayer, unter dessen Stabführung die Original Donauschwaben bereits zu den beliebtesten Blaskapellen aufrückten. 
Sein Nachfolger war der auch heute noch als Komponist und Arrangeur wirkende Josef Schmalz.
Seit dem 5. November 1983 leitet Jakob Konschitzky die Original Donauschwaben. Erst 14jährig, begleitete der gebürtige Bakowaer bereits die Hilfskantorstelle in seiner Heimatgemeinde. Das Erlernen der Blasinstrumente Flügelhorn und Tenorhorn vollzog sich als logische Konsequenz der dorfüblichen Blechmusiktradition. Der Weg zur musikalischen Professionalität führte bei Konschitzky über die Tätigkeit des Bühnentechnikers an der Temeswarer Oper. Dort fand er die nötigen Anregungen, seinen Technikerberuf an den Nagel zu hängen und die dreijährige Musikfakultät zu besuchen. Als Musiklehrer arbeitete er dann an der Volksschule in Perjamosch. Nach seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland (1969) nahm Jakob Konschitzky erneut ein Studium der Musikpädagogik am Münchner Richard-Strauß-Konservatorium auf. Seit 1970 arbeitet er nun an der Städtischen Sing- und Musikschule München. Den Original Donauschwaben trat er bereits 1978 als Bläser bei.
Diese Blaskapelle pflegt nun seit 27 Jahren volkstümliche Blasmusik. Die oft vom Text her besinnlichen, erinnerungsträchtigen Tanzmelodien, Walzer, Polkas und Ländler, aber auch traditionelle und neue Märsche bilden heute noch das reichhaltige Repertoire der Original Donauschwaben. Diese Kapelle wird mit Sicherheit auch weiterhin ihr musikalisches Können in den Dienst der Gemeinschaft stellen, um den festlichen Rahmen vieler landsmannschaftlichter Veranstaltungen zu gestalten.
Die Kontaktadresse der Original Donauschwaben: Jakob Konschitzky, Kilihofstr. 25, 8000 München 82.
 Anton Potche

aus BANATER POST, München, 5. September 1991

Mittwoch, 19. Juni 2013

E scheene Gruß

Dem Alter die Ehr'
Vetter Ignaz Rosar aus Jahrmarkt erzählt
.
Wer hat Eich gsaat, dass Dr doher kumme selt? Jo, jo, des is wohr, jetz sin ich de ältst Musikant in Johrmark, un aa schun vun de ältste Leit im Dorf dohie; noch vier Männer sin vor mer. Siebnunachtzich Johr wer ich im Dezember, ich hun schun viel gearwet, un ich hun gere gearwet! Gere gearwet un gere bei dr Musik!
Wie ich oongfang hun bei dr Musik? Dohie war e gewisser Kasznel in dr Alt-Gass, der war unser Kapellmaaster, der hot uns gelernt, un bei dem war ich, bis ich aus dr Schul geblieb sin. Un nodem hot uns de Rastätter iwerhol, no war der unser Kapellmaaster un hot uns gfiehrt. Un no späder erst, viel späder sei mer zum Loris. Mi'm Rastätter sei mer spiele gang, awer semols sei mr noch net in anre Derfer gfahr, hu mer nor do in Johrmark gspielt im Wertshaus. Un do war selmols noch e Musikbanda, die Feierwehrmusik, jo, die war aa noch do, die hot e anre gfiehrt, die hot e gewissene Jauch gfiehrt.
Nikolaus Kreuter (1903 - 1970) gründete
in den 1930er Jahren eine Schrammelkapelle
und später auch eine Blaskapelle,
die bis 1958 auftrat.
v.l.: Nikolaus Kreuter (1903 - 1970),
Sebastian Seibert, Martin Kassnel,
 Peter Kelter, Josef Scheuer
De Loris hot uns iwerhol, des war schun 1908, un wie der uns iwerhol hot, no is des jo schun anerscht gang, no war aa Schluss mi'm Rastätter, vun no an war Loris, Loris Peder - war e gude Musikant! Un sei Bruder aa, net wohr? Un ich war jo'm Loris sei rechtsi Hand, wann er net do war. Ich war Primasch! Ich war Violinist un Klarinettist. Gspielt hun mer im Wertshaus, mol beim Seiwert, mol beim Pannert - heit do, morje dort, wie des schun gang is, aa beim Kolling drowe. Ja, un do wu jetz es Kulturheim is, do hun mer viel gspielt, wu se jetz aa noch Spiele de Loris un de Kaszner. Och, do hun mer viel gspielt! Un gudi Musik gemach! Alles hun mer gspielt, un do war jo no späder noch e Musik im Dorf, de Kräider!
Aso Musik hun ich aa beim Militär gemach. Ich hun bei de Aanunsechzicher gedient, Temesvarer Regiment! Do war ich une in Bosnien, un dort hun ich aa Musik gemach. Dort war unser Batallion, dorte une in Dalmatien. War aa im Schitzegrawe in Italien, un no hun uns die Italiener dort mol ghapscht, no war ich in Gfangenschaft in Italien, zwaa Johr. Ja, die Italiener hun uns selmols gschnappt. Im Neinzehner sin ich erst hoomkumm. Jo, awer aa dort in dr Gfangenschaft hun ich Musik gemach, jo, aa dort Musik gemach - for die Musik leb un sterw ich!
Wie lang ich lewe mecht? Bis ich sterwe, naja. Jetz wer ich 87, ich hun jo meins gemach. Wann se rufe, no geh mer. Es tut mer jo laad, awer wann's haaßt "Hai kumm mit!", no geh mer.
Jo, ich hun meins gemach, ich hun viel gearwet, ich war Maurer, im 63er sin ich in Pension gang, hun awer noch paar Johr lang weider gearwet. Jetz gehn ich im Hof hin un her, no gehn ich mol uf die Gass, schau mol naus, no gehn ich in de Garte, no ärjer ich mol e bissje mei Tochter ... Na no gehn ich schaue, ob die Zeidung noch net kummt, ob net's Tirche geht. Na no les ich die Zeidung, mir hun de "Neie Wech", no les ich alles, alles, alles, e jedes Sticklche, was drin is. Mit dem tu ich mer die Zeit vertreiwe, ich hun immer die Zeidung ghat, schun vun friehjer her immer - die "Extrapost". Ich hun jo viel geles im Lewe!
Mir ware unser drei Gschwister im Haus, jo, drei, noch e Zwillingsbruder un noch e Schwester. Ihr seid aa e Zwillingskind? E Schwester hätt'r? Na no kenne mer uns jo stolziere! Do in dem Haus sin ich gebor, in dem Haus. Des war jo anerscht, mir hun jo schun bal alles rumgeworf, des war jo friehjer so e gewehnliches Haus, etwas besser wie e Koliba. Vun Kotstoon un Dreck is es. Des is die Zigeinergass do, un do ware meistns so kloone Häiser, do ware nor Kloonhäisler gewohnt in dr Zigeinergass, lauder Professioniste. Was e Peerd hun ghat, ware vlleicht in ganzem vier, finef, was e Peerd hadde, e Oonspänner. Ich nix, niemols e Peerd ghat, nix, niemols ghat! Mei Peerd war Temesvar!
Wie ich in die Lehr gang sin, vun Oonfang on sei mer zu Fuß gang uf Temesvar zum Maaster. No, wie ich mich mol e bissje gspeert hun, no hun ich mer e Bizikl kaaft, un wie mer mol's Bizikl hadde, sei mer nemmi zu Fuß gang - no sei mer gfahr! Jede Tach zwelf Kilometer bis in die Stadt. Ich hun vier, finef Johr noch beim Maaster gearwet, un noher aa meistns in Temesvar, un aa in Ferdinandsberg, dort hun mer Martinseefn gebaut. Alle Tach uf dr Arwet. Un des war's Schwerste in meim Lewe: Alle Mondach morjets uf un in die Stadt, des war's Schwerste. No Dienstach is es jo schun besser gang, na un no samstachs is schun gschaut wor, dass beizeide nogeloss werd, un dje! Drhoom glei ins Wertshaus mit'r Gei un mi'm Inschtrument - Klanett, na ja freilich. Unser Kapellmaaster hot uns gedrillt - geh mer! Zwaamol war Prob, mittwuchs un samstachs. Na un no, wann no Tanz war, no war's scheen, hun mer gspielt, un meiner Fraa hot des aa gut gfall, sie is aa ins Wertshaus mit, un des war aa vum Schenste, iwerhaupt wie mer jung verheirat ware.
Selmols hun mer aa unser Haus dohie in Ordnung gebrung. Selmols war's Dorf un iwerhaupt die Zigeinergass jo noch weit zrick! Awer die Leit hun oongfang immer e bissje was mache, noch e bissje, geh mer, mach mer was, dje! Un so hun se halt e bissje verschenert die Häiser. Na un mir do aa, wann ich hoom sin kumm vun dr Arwet, na mach mer was, geh mer, mach mer e bissje was, un so is es halt immer weider un immer besser gang. Un so hun mir Professioniste uns aa ganz gut dorchgschlaa. Awer gearwet - viel!
 Loris-Kapelle in den 1930er Jahren. // stehend v.l.n.r.: Jakob Haas, Mathias Jost (Spitzname: Hannese Matz), Peter Tasch, Hans Potche, Josef Scheuer (Scheier Joschka), Sebastian Marx (Pichler Bascht), Josef Windrich, Peter Helebrand, Michael Kasnel, Anton Linz, Johann Loris (Fizigoi Hans) // sitzend v.l.n.r.: Anton Krämer (Berns Toni), Michael Kumaus, Georg Tasch, Johann Kaszner (Safer Hans - Vater des späteren Kapellmeisters der Kaszner-Kapelle), Peter Loris, Franz Jost (Windrich Franz), Mathias Loris, Peter Schmidt, ... Starr, Heinrich Till // 
vorne v.l.n.r.: Heinrich Schöntal, Mathias Loris (der spätere Kapellmeister der Loris-Kapelle), 
Michael Ebner (Kasper Michl)
Na ja, freilich, un Musik gemach. Heit owed is jo des Jubiläum, un ich sin de ältst Musikant, de letzte, was noch vun dr Grindung is, vum Loris Peder. Ich tät jo vun Herze gere gehn, awer ich kann net, ich heer jo net gut. Geht Ihr hin? Aso e scheene Gruß an die ganzi Banda, saat nor, de Vedder Naz hot gsaat: E scheene Gruß! Ich hun jo meins gemach, ich war gere bei dr Musik, ja!

(Aufgezeichnet von Walther Konschitzky)
.
aus NEUER WEG, Bukarest, 19. August 1978

Montag, 17. Juni 2013

Ostdeutsche Gedenktage 1991

Wertvolle Erinnerungen an den deutschen Osten
Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen bringt seit 1982 die "Ostdeutschen Gedenktage" heraus. Im Vorwort zu der Ausgabe 1991 heißt es: "Die Ostdeutschen Gedenktage 1991 vereinen in ihrem ersten Teil 63 Lebensbilder von Persönlichkeiten, die durch Herkunft oder Wirken dem deutschsprachigen Osten verbunden gewesen sind. Die Lebensbilder sind wissenschaftlich fundiert, richten sich aber an das breite Publikum... Die Beiträge sind ganz unterschiedlich konzipiert, mal in der freien Form des Essays, mal strenger lexikographisch, wie es dem jeweiligen Bearbeiter angemessen erschien."
Das klingt vielversprechend und der geschichtsbewußte Leser blättert erst mal hastig, nach dem ihm vertrauten Kulturkreis suchend. Dabei eröffnet sich ihm ein schier unendlicher Horizont an ostdeutscher Siedlungs-, Kultur- und Literaturgeschichte. Biographien von Rittern, einem Kaiser, Generälen und Marschällen, Politikern, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Dichtern, Historikern, Architekten, Malern und Musikern gewähren Einblick in geschichtliche und kulturelle Ereignisse aus sechs Jahrhunderten. Dem suchenden Banater Schwaben werden einige Namen vertraut sein, und wenn er es nicht als zu schwärmerisch empfindet, das in der Geschichte immer relevante "Was wäre, wenn..." in seine Gedanken einfließen zu lassen, wird er mit Faszination bei der einen oder anderen Persönlichkeit verweilen; so zum Beispiel bei den Männern, die mit ihrem strategischen Denken und Lenken die Schlacht bei Königgrätz (1866) wesentlich beeinflußt haben. Was wäre, wenn die Österreicher als Sieger das Schlachtfeld verlassen hätten? Wir Banater Schwaben wären damals wohl nicht endgültig von unserem Mutterland durch einen der vielen Friedensversträge, die in jenen von Bruderkämpfen überschatteten Zeiten abgeschlossen wurden - durch den Ausschluß Österreichs aus dem Deutschen Bunde - getrennt worden. Was wäre, wenn...?
Der Beitrag von Dr. Horst Fassel vom Institut für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen zum 100. Geburtstag des in Karansebesch geborenen Kulturhistorikers und Schriftstellers Rene Fülöp-Miller vermittelt auch ein wenig multinationale Kulturatmosphäre aus dem Südosten Europas während der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Rene Fülöp-Miller schrieb seine Werke in deutscher, ungarischer, rumänischer und englischer Sprache.
Hans Damas Beitrag über den in Stuhlweißenburg (Ungarn) geborenen Architekten Nikolaus Ybl, Monika Radeckis biographische Aufzeichnungen über den Kronstädter Schriftsteller, Publizisten, Herausgeber und Mäzen Erik-Ernst Schwabach (Pseudonym: Ernst Sylvester) sowie der von Ernst Wagner verfaßte Lebenslauf des 1911 in Kronstadt geborenen und zur Zeit in München lebenden Buchhändlers und Verlegers Hans Meschendörfer spannen den Informationsbogen vom Pannonischen Raum bis jenseits der Karpaten. "850 Jahre seit der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen" hat Michael Kroner seinen Aufsatz betitelt. Zwei weitere Arbeiten von Konrad Gündisch befassen sich mit dem "Leopoldinischen Diplom für Siebenbürgen" und mit der St--Ladislaus-Probstei in Herrmannstadt.
So kann man am Ende feststellen, daß südosteuropäische Persönlichkeiten und Ereignisse ihre verdiente Würdigung in der Reihe der "Ostdeutschen Gedenktage 1991" erfahren haben. Daß man in dem Buch Namen wie Claudius Florimund Graf Mercy (325. Geburtstag), Franz Josef I. (75. Geburtstag), stellvertretend für weitere erwähnenswertre Persönlichkeiten, vermißt, wird eher an dem Mangel an Mitarbeitern als an den Redakteuren dieser Ausgabe, Matthias Pape und Silke Spieler, liegen.
Ostdeutsche Gedenktage 1991 ist unter der Nummer ISBN 3-88557-083-1 auch über den Buchhandel bestellbar.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 5. September 1991

Mittwoch, 12. Juni 2013

"Gruß aus Jahrmarkt" (VII)

Namen, Jahreszahlen und Ereignisse in der 70jährigen Geschichte der Loris-Kapelle
von Prof. Hans Speck
Im Jahre 1960 übernahm Mathias Loris senior, Sohn des Ignatz, die Leitung der Kapelle. Sein noch rüstiger Vater begann mit der Ausbildung einer neuen Musikantengeneration, zu der Mathias Loris junior, Mathias Stefan, Franz Nix, Peter Küchler, Josef Probst, Michael Probst, Adam Barth, Hans Eichinger zählen.
Am 9. Februar 1968 begleitete eine ganze Trauergemeinde Martin Loris auf seinem letzten Weg.
Die Loris-Knabenkapelle  im Jahre 1973
vorne v.l.n.r.: Reinhard Nix, Mannfred Schlosser;
 1. Reihe v.l.n.r.: Josef Grund, Peter Probst,
 Walter Mischon
, Nikolaus Warres,
Mathias Loris sen.
, Josef Tritz, Horst Müller,
Mathias Loris
, Alfred Reppert, Mathias Krämer;
 2. Reihe v.l.n.r.: Nikolaus Weldi, Walter Jost,
Jakob Klecker, Peter Pesch,
Franz May, Michael Wendling, Johann Kumaus,
Mathias Kaiser, Mathias Tannenberger,
Herbert Klemens, Walter Kunz;
3. Reihe v.l.n.r.: Peter Tyoschitz, Roland Marx,
Nikolaus Andres, Reinhard Junginger,
   Johann Seibert, Johann Kunz,
Helmar Linz, Josef Wanyer,
Siegfried Ferch, Johann Kilzer
Unter der Leitung von Mathias Loris senior, entfaltete die Kapelle eine vielseitige Tätigkeit. Als Orchester des Kulturheims spielte sie bei vielen Gelegenheiten zum Tanz auf, Wettbewerbe brachten Lob und Preise ein. 1970, beim ersten Landesfestival der Blasmusik in Alba-Iulia, wurde die Loris-Kapelle mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Altmeister Prof. Josef Klein, ein Name der ruhmreichen Klang in der gesamten rumänischen Blasmusikbewegung hat, war in dieser Zeitspanne hingebungsvoller Berater und griff auch selbst zum Taktstock.
1970 begann auch Mathias Loris sen. mit der Ausbildung einer 30 Mann starken Blaskapelle. 
Kl. Besetzung der Loris-Kapelle um 1980.
 Einige dieser Musikanten
waren Mitglieder der
Jahrmarkter Jungmusikanten.
vorne v.l.n.r.: Johann Adolf,
Albin Schreier,  Johann Schlosser;
stehend v.l.n.r.: Mathias Loris jun.,
Nikolaus Kern, Mathias Kaiser,
   Johann Eichinger, Peter Probst,
Josef Wanyer, Hilbert Kunz,
Nikolaus Seibert, Helmar Linz
Mit dem Jahr 1970 ist auch eine neue, umwälzende Epoche in der Geschichte der Loris-Kapelle verbunden.  Mathias Loris jun. - der seine Musikkarriere als Tambourschläger begann - absolvierte in diesem Jahr erfolgreich das Temeswarer Musiklyzeum "Ion Vidu" und setzte sein Musikstudium am Konservatorium "Gh. Dima" in Cluj-Napoca fort. Im Frühjahr desselben Jahres begann der 18-Jährige seine Dirigentenlaufbahn als Vertreter der vierten Generation der "Loris-Dynastie". "Jahrmarkter Jungmusikanten" nannte er die 16 Mann starke Kapelle, die unter seiner Leitung am 26. April 1970 erfolgreich ihre Feuertaufe bestand. Zahlreiche Musikfreunde, Journalisten und sogar eine Delegation aus der DDR - die damals in Temeswar weilte - hatten sich zu diesem großangelegten Fest eingefunden. Blumen auf dem Dirigentenpult und stürmischer Beifall waren Belohnung und Anerkennung für den Beginn seiner Laufbahn, bedingt durch eine Tradition, die verpflichtet. Zu den Mitgliedern der DDR-Delegation zählte auch der unseren Lesern und Theaterfreunden wohlbekannte Dichter Heinz Czechowski, der als Anerkennung für die an diesem Abend vollbrachte musikalische Leistung dem jungen Dirigenten eine von ihm herausgebrachte Lyrik-Anthologie "Brücken des Lebens" überreichte. In der vom Autor gezeichneten Widmung heißt es, "den Freunden in Jahrmarkt zum Dank für die schönen Stunden, Heinz Czechowski". Die deutsche Redaktion des Bukarester Fernsehens wurde auf die "Jungmusikanten" aufmerksam und gestaltete zwei Sendungen mit ihnen. 
In den frühen Morgenstunden des 31. Januar 1971 wurde der langjährige Dirigent der Musikkapelle, Ignatz Loris, vom Schicksal des Lebens für immer aus ihrer Mitte abberufen.

aus NEUE BANATER ZEITUNG, Temeswar, 12. August 1978

Montag, 10. Juni 2013

Unsere Lobby

Ein sterbendes Volk wird von den Medien entdeckt
"Wir haben keine Lobby". - Wer von uns hat diesen stets schlußfolgernden Seufzersatz nicht schon mal gehört oder auch selbst ausgesprochen? Wie wahr oder wie unwahr er ist, wird objektiv wohl kaum abwägbar sein. Wie berechtigt oder unberechtigt er in die Diskussionen einfloß und auch weiterhin wohl einfließen wird, kann jeweils nur von den persönlichen Standpunkten der Diskutierenden her betrachtet werden.
Wenn das Wort "Lobby" die Gesamtheit der Lobbyisten bezeichnet, so müssen wir uns ihnen zuwenden. Lobbyist ist jemand, der Abgeordnete für seine Interessen zu gewinnen sucht. "Wir haben keine Lobby". Also wir haben niemand, der für unsere Interessen und unser Erscheinungsbild wirbt.
Unwahr, muß man feststellen, wenn man die Aktivitäten der Landsmannschaften der vergangenen 40 Jahre unter die Lupe nimmt. Da hat es an Werbung für die eigene Sache und derer, die noch "unten waren oder sind", nicht gefehlt. Daß hier eine weiterführende Diskussion über Qualität und Sinn dieser (oder nur einzelner) Veranstaltungen unbeschränkt viel Raum für subjektive, ja sogar ideologische Argumentationen eröffnet, sollte eigentlich vom Grundkonsens aller landsmannschaftlichen Aktivitäten nicht ablenken: das Werben für Verständnis und Akzeptanz eines sterbenden Volksstammes.
Wahr, wenn man berücksichtigt, daß das Sterben der Donauschwaben bereits durch die Trianoner Beschlüsse begann, ja von ihnen sogar eingeleitet wurde, ohne daß die Weltöffentlichkeit davon Notiz nahm. Jenes Jahr 1920 brachte den ersten schweren Schlag für die kulturelle und wirtschaftliche Einheit der deutschen Diaspora in Südosteuropa. Der Sturz des kommunistischen Diktators Ceauşescu im Dezember 1989 brachte das endgültige Aus für die letzten Bastionen habsburgischer und damit verbunden reichsdeutscher (18. Jahrhundert) Geschichte. Das waren 70 Jahre langsamen Sterbens in Form von Deportation (Jugoslawien, Rumänien, Ungarn), Vernichtung in Konzentrationslagern (Jugoslawien), Vertreibung (Jugoslawien, Ungarn) und Auswanderung (Rumänien). Das Aussterben der Donauschwaben und der Siebenbürger Sachsen, die einzigen Relikte deutscher Geschichte in Fleisch und Blut, blieb im unheimlichen Schweigen, daß nach 1945 über Europa lag, unbemerkt.
Nach dem gesellschaftlichen Urknall in Osteuropa stieg das Interesse für die Deutschen in Rumänien schlagartig an. Plötzlich wurde auch das Todesröcheln der Banater Schwaben wahrgenommen. Das ist, Gott sei Dank nur nebenbei, auch dem Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine, zu verdanken. Zum Glück sind es aber nicht dessen Deutschtümelei-Theorien, die sich in der Öffentlichkeit durchgesetzt haben, sondern eher die sachlichen, geschichtlich und auch geographisch zwar nicht immer einwandfreien, aber von unvoreingenommenen Informationsabsichten zeugenden Kommentare in den deutschen Medien.
Die Banater Schwaben bringen in ihrem Auswanderungsgepäck nicht nur ihre letzten und liebsten Habseligkeiten mit. Ihr Schicksal beendet das Sein des Volksstammes der Donauschwaben im geographischen Raum, den ihm die europäische Geschichte zum Werden, Leben und Vergehen zugewiesen hat. Noch nie wurde das Ende eines deutschen Volksstammes so bewußt erlebt wie jetzt. Man will dabei sein, denn es geht letztendlich nicht nur um ein grandioses Spektakel, sondern man verspürt plötzlich die Faszination des Entdeckens. Da reift ein neues Bewußtsein. Nur 1000 km südöstlich von uns - einst sehr weit, heute nur ein paar Autobahnstunden entfernt - existierte zweieinhalb Jahrhunderte lang ein deutscher Volksstamm und wir wußten kaum etwas von ihm. Schnell hin und auf Filmband festhalten, was noch erkennbar ist.
Während in den ersten Monaten nach der Wende in Rumänien noch die Berichte über die miserable soziale Lage der rumänischen Bevölkerung und über die exotischen Zigeuner überwogen, wendeten sich die Berichterstatter der Fernseh- und Rundfunkanstalten langsam aber sicher dem Problem der Deutschen in Rumänien zu. Freilich hat die uneingeschränkt positive Haltung einiger Bonner Würdenträger - Kohl, Schäuble, Genscher können nur stellvertretend für viele genannt werden - zu diesem Wandel entscheidend beigetragen.
Als ein Höhepunkt der Berichterstattung über die Geschichte der Donauschwaben kann man den am 15. Juni im ARD-Programm "Nachbarn" (13.30 Uhr) gesendeten Film "Der letzte Schwabenzug" bewerten. Die Besiedlungsgeschichte des Banats mit seiner Hauptstadt Temeswar wird anhand einer Landkarte und mit Stefan Jägers Einwanderungstryptichon anschaulich dokumentiert. Mit den Bildern aus Jahrmarkt, dem Dorf, das baulich wohl die bemerkenswertesten Umwandlungen vom alten österreichischen Barockstil zu einem neuen, den Bedürfnissen der Zeit angepaßten Dorfhaus durchgemacht hat, kommt man schnell dem Schwerpunktthema, das die Autoren sich gesucht haben, näher: der Zerfall des deutschen Erbes in diesem Dorf und im ganzen Banat.
Das menschliche Drama der Auswanderung kommt in diesem Film voll zur Geltung. Die Worte des alten Pfarrers Josef Czirenner, der seine Hand auf der Quelle des Prinz-Eugen-Brunnens wie auf einem schützenswerten Symbol donauschwäbischer Urbarmachung ruhen lässt, enthalten den unsagbaren und von Außenstehenden kaum nachvollziehbaren Schmerz, den das Auflösen einer bislang intakten Dorfgemeinschaft mit sich bringt: "Da war Leben. Frosinn war in der Gemeinde, Glück und Zufriedenheit. Schade, daß die Ruinen nur mehr da sind und die Menschen, die damals so glücklich waren, das alles aufgebaut haben, sie sind fort. Doch die Ruinen sind geblieben. Es war ein Stück Heimat. ... Wir sind verschwunden, am aussterben. ... Es ist vorbei. ... Es ist schade, daß gerade die letzten da so viel leiden müssen. ... Wir gehen zugrunde, seelisch."
Das Schicksal vieler zurückgebliebener, alter Menschen ist sehr schwer. Das Deutsche Forum versucht den gegebenen Verhältnissen entsprechend zu helfen. Leicht ist das nicht, denn Neid und Antisemitismus machen den Deutschen schwer zu schaffen.
Das Wirken der katholischen Kirche kann nur noch in Temeswar und wenigen größeren Ortschaften aufrechterhalten werden. Bischof Sebastian Kreuter: "Dort (A. d. V.: in den ehemals deutschen Gemeinden) bleibt nichts anderes übrig, als diese Kirchen den Orthodoxen zu übergeben, damit sie sie instand halten. Das tut uns wohl weh, aber die Frage ist nicht anders zu lösen."
Im Deutschen Theater Temeswar verlieren sich wenige Zuschauer, in ihren Mänteln vereinsamt und vergessen aussehend. Ildicko Jarcek Zamfirescu versucht das Noch-Bestehen dieses Hauses zu rechtfertigen.
Die Lenau Schule ist nur noch vom Namen her eine deutsche Schule. Die deutsche Schule von Gottlob wird nur von vier Kindern besucht, die von einer Kindergärtnerin betreut werden. 
Die Bodenreform ist eine Farce, die dem urigen Humor des bäuerlichen Überlebenskünstlers Hans Tittenhofer aus Gottlob Geltung verschafft: "Ja, 10 Prozent (A. d. V.: von seinem Feld) werden wir vielleicht zurückbekommen. Aber wann das ist, weiß man noch nicht, ob im Sommer oder im Herbst. Feld bekommen zuallererst die 5-Hektar-Bauern. Und nach den 5-Hektar Bauern, so han mer gsagt, des ware die mit dem Titel, die han s'erscht gholl vun de Schwowe, net?, un dann bekommen wir auch. Aso, die sin immer die erschte. Die haben s'erscht bekommen im 45 un die bekommen wieder s'erscht. Un wenn noch was bleibt bekommen wir auch... Im 45 war ich 15 Jahre alt. Dann, wie die komme sind und uns alles weggenomme hab'n, hab ich gar net gwußt, was wolle die? Da bin ich zu mei'm Vatter glaufen: 'Schau. die werfn uns den Stroschuwer um un de Laubschuwer. Was machen die denn da in dem Hof? - 'Ja', sagt der, 'des is die reforma agrară. Die nehmen nur dem, der wu was hat. Der wu nicks hat, dem kann mer nicks wegnehme.'"
Die Maiers und Köstners aus Wolfsberg in 1000 m Höhe reisen aus. Die Fernsehkameras sind dabei. Sie zeichnen alles auf. Sie wenden sich auch nicht ab, wenn die Gefühle hemmungslos aus den Herzen brechen. Schockierend wirkt der Kontrast: deutscher Abschied - rumänische Hochzeit. Aber die Symbolik dieser Bilder steht wohl oder übel für die geschichtliche Unumkehrbarkeit der deutschen Auswanderung aus Rumänien.
"Der Ausflug der Rumäniendeutschen in die europäische Geschichte scheint beendet."
Ein Zug fährt über die endlose Heide gegen Westen: "Banat - Der letzte Schwabenzug".
Ein preisverdächtiger Dokumentarfilm ist zu Ende. Wir verdanken ihn Helga Höfer und Michael Ament, die für die Regie zeichnen, Jochen Dorchholz, Kamera; Stefan Hartmann, Ton; Christine Süss, Schnitt; Klaus Schumann, Mischung; Julia Fischer, Sprecherin; Michael Ament, Redaktion. Eine Sendung des Bayerischen Rundfunks. 1991.
Helga Höfer hat durch diesen Film nicht nur ihrer Banater Heimat ein Denkmal gesetzt. Sie hat vielen am Auswanderungsdrama Unbeteiligten in die Seele gesprochen, was aus den Seelen der unmittelbar Beteiligten spricht.
"Wir haben eine Lobby." Die Tragik liegt in ihrem späten, viel zu späten Erwachen. Wäre sie in den Jahrzehnten des kalten Krieges da gewesen, hätten viele Deutsche für das Aussiedlerproblem eine andere Verständnisbereitschaft entwickelt.
Mark Jahr

aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 11. August 1991

Mittwoch, 5. Juni 2013

"Gruß aus Jahrmarkt" (VI)

Namen, Jahreszahlen und Ereignisse in der 70jährigen Geschichte der Loris-Kapelle
von Prof. Hans Speck
Anlässlich der 160-Jahr-Feier der Gemeinde Sackelhausen schreibt Egidius Haupt in seinem Buch "Geschichte der Gemeinde Sackelhausen" folgende Lobesworte: "Meister Loris, der mit seiner vortrefflichen Knabenkapelle die Musik besorgte, verdient volles Lob und als Anerkennung sei ihm mit seinen braven Buben auch ein Plätzchen in diesem Buch eingeräumt als Zeichen der Anerkennung, für Tüchtigkeit, erreicht durch Fleiß, Geduld und Ausdauer."
Martin Loris und die ITT-Kapelle
Als man das Rollen der Kriegsmaschinen zum Stillstand gebracht hatte, aber die Wirren der Zeit noch manche sinnlosen Opfer abverlangten, konnte noch lange nicht an einen Neubeginn gedacht werden. Erst 1947 begann Martin Loris, unterdessen nach Jahrmarkt zurückgekehrt, zusammen mit  Ignatz Loris, dem Sohn von Peter Loris, die Neuorganisierung der Kapelle.

Wie schwer es war, wieder von vorne anzufangen, um Pioniere einer neuen Zukunft zu werden, erzählen mit voller Begeisterung die älteren unter den noch Aktiven bzw. die Ehrenmitglieder der Kapelle, wie Mathias Loris, Hans Schwendner, Franz Geier, Peter Loris, Peter Roszar, Nikolaus Reith, Hans Stefan, Johann Junginger. Sie waren dabei, als in diesen schwierigen Tagen das neue Zusammengehörigkeitsgefühl entstand, das nicht angeordnet, sondern eigens von ihnen ausgegangen war. Sie erinnern sich noch daran, wie schwer anfangs alles war, wie langsam alles besser wurde und wie sich dann endlich der Erfolg einstellte, ehrlich und hart erarbeitet. Peter Loris trat öffentlich nur noch selten als Kapellmeister auf, aber bei den Proben war er noch immer aktiv. Den Taktstock führten jetzt Ignatz und Martin Loris.
Ignatz Loris
Der am 25. Dezember 1905 geborene Ignatz besuchte nach Absolvierung der Jahrmarkter Volksschule das Szegediner Gymnasium (1916 - 1920) und bekam vom Vater den ersten Musikunterricht. Von 1926 an war er aktiver Regimentsmusiker in Temeswar und von 1931 bis 1944 in Kronstadt. Von 1949 und bis 1963 leitete Ignatz Loris auch die Blasmusik der Temeswarer Wollindustrie (ILSA), während in derselben Zeit Martin Loris die Leitung der ITT-Kapelle inne hatte. Die Mehrheit beider Kapellen bildeten Jahrmarkter Musikanten.
Loris-Nachwuchs 1954
v.l.n.r. sitzend 1. Reihe:
 Josef Lambrecht, Peter Stein, Wilhelm Linz
2. Reihe: Hans Tyoschitz, Mathias Linz,
Michael Probst, Ignatz Linz, Michael Tritz

stehend: Georg Lambrecht,
Peter Bittenbinder, Michael Kasznell,
Nikolaus Kilzer, Josef Lannert, Peter Werner
Martin Loris sorgte auch für weiteren Nachwuchs. Zu seinen Schülern zählten u. a. Michael Kasznel, Mathias Linz, Franz Wanyer, Ignatz Linz, Peter Pesch, Mathias Ehlich und Mathias Loris.
Am 2. Oktober 1952 erlitt die Musikkapelle Loris einen schweren Verlust durch das Ableben ihres ersten Kapellmeisters. Unter den Klängen der Trauermärsche gab eine große Menschenmenge dem Begründer die letzte Ehre. In einer schlichten Grabrede wurde das Schaffen des Dahingeschiedenen gewürdigt.

aus NEUE BANATER ZEITUNG, Temeswar, 11. August 1978

Montag, 3. Juni 2013

Zwischen Dichtung und Politik

Der Lyriker Mircea Dinescu in Augsburg
Es gibt Aussagen und spontane Ausrufe, die in die Geschichte eingegangen sind. Man kennt diese Sätze und benutzt sie, ohne an die Personen und Ereignisse, denen sie zu verdanken sind, zu denken oder sie überhaupt zu kennen.
In der Geschichte Rumäniens könnte der Verkündung "Dictatorul a fugit! Am învins, am învins!" eine geschichtliche Bedeutung beigemessen werden. Ihr Ausrufer, der Dichter Mircea Dinescu, wurde auf den Schultern der rumänischen Revolutionäre zur Zentrale des ersten "Revolutionsfernsehens" getragen, um diesen auch für das Deutschtum in Rumänien folgenschweren Satz in den Äther zu rufen. Für die Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen bedeuteten diese Worte das Ende einer jahrhundertelangen freiwilligen, kulturell und wirtschaftlich fruchtbaren und erst in den letzten 50 Jahren unfreiwilligen und geistig lähmenden Enklavenexistenz im Südosten Europas.
Während die letzten Deutschen Rumänien verlassen, reist der Rumäne Mircea Dinescu durch Deutschland, um die Früchte seiner literarischen Schweigepflicht der späten 80er Jahre der Ceauşescu-Diktatur zu ernten. Der Präsident des rumänischen Schriftstellerverbandes, der die gestrigen kommunistischen Hofpoeten und heutigen nationalistischen Scharfmacher um Eugen Barbu und Corneliu Vadim Tudor vorläufig (man muß dieses Wort angesichts der Situation in Rumänien leider gebrauchen) aus dem Schriftstellerverband verdrängt hat, genießt in Deutschland für einen fremdsprachigen zeitgenössischen Poeten außergewöhnlich hohes Ansehen. In der Südwestfunk-Bestenliste der letzten 3 Monate, die von 28 Literaturkritikern in unabhängiger Auswahl zusammengestellt wird, ist Mircea Dinescus zweisprachiger Gedichtband Ein Maulkorb fürs Gras, übersetzt von Werner Söllner, auf Platz 4 vorzufinden.
Am 8. Mai wurde der 41jährige "rumänische Majakowski" (so die AUGSBURGER ALLGEMEINE) zum Akademischen Ehrenbürger der Universität Augsburg ernannt. Der Dichter nahm das Medieninteresse, das von diesem Ereignis ausgelöst wurde, auch prompt zum Anlaß, die Menschen, die in den Städten Rumäniens gegen den Kommunismus kämpften und gestorben sind, und ihm, dem Hausarrestler, dadurch die Chance der Unsterblichkeit eröffneten, vor den Experten in Schutz zu nehmen, die den revolutionären Charakter und damit auch die Wahrhaftigkeit ihres Freiheitskampfes in Frage stellen.
In einem Interview der AUGSBURGER ALLGEMEINEN rückte der Mann der ersten Stunde die Dinge wieder ins rechte Lot: "Es wäre zugleich lächerlich, absurd und tragisch zu glauben, daß zwischen dem 19., 23. und 24. Dezember 1989 in Rumänien eine Farce inszeniert wurde. Das war ein Volksaufstand. Mehr als tausend Menschen sind gestorben, viele Tausende wurden schwer verletzt. Aber das, so scheint mir, ist hier im Westen vielen Leuten enttäuschend wenig. Die Gerüchte, daß die Revolution eigentlich nur eine Inszenierung von KGB und 'Securitate' war, wurden von diesen Geheimdiensten in die Welt gesetzt. Wir, die wir gekämpft haben, wissen es besser."
Mircea Dinescu
Natürlich durfte man auf eine Lesung mit Mircea Dinescu gespannt sein. Wer sich aber im Bert-Brecht-Hörsaal (14. Mai, 20 Uhr) der Universität Augsburg eingefunden hatte, um einer gewöhnlichen Dichterlesung beizuwohnen, sah sich bald eines Besseren belehrt. Dinescu erzählte in seiner gekonnt schwungvollen, an Gestik und Mimik reichen Art, wie einige seiner Gedichte entstanden sind. Daß die Übersetzerin bei diesem Wortschwall Mühe hatte, den geistigen Winkelzügen des Dichters zu folgen, war da verständlich. Es gelang ihr trotzdem, die humorvolle Hintergründigkeit aus Dinescus Ausführungen dem deutschen Auditorium verständlich zu machen und dieses immer wieder zu erstauntem oder verständlichem Lächeln zu veranlassen. Was Mircea Dinescu vorlas, war eine von Metaphern durchwachsene, aber in keiner Zeile entstellte Erlebnisdichtung. Hier hat nicht einer abgehoben, um sich in irgendwelchen sprachlichen Gipfelstürmen zu erproben, sondern in diesen Gedichten wurde die Sprache des Alltags mit all seinen Nöten und der einzigen ihm verbliebenen Freiheit, dem bissigen, galligen Humor, zur dichterischen Kunstform erhoben. Dabei darf man nicht übersehen, daß die deutschen Nachdichtungen Werner Söllners dem Niveau des Originals in jeder Weise ebenbürtig sind.
Trotzdem konnte man diese Dichterlesung auch mit gemischten Gefühlen verlassen. Gegen Ende seines Vortrages war von Mircea Dinescu zu vernehmen: "Ich wünsche mir manchmal, von einigen Kritikern unter Hausarrest gehalten zu werden." Oder ganz zum Schluß dankte er der Universität Augsburg, daß sie ihm die Gelegenheit gegeben hat, sich zu erinnern, welch großartiger Dichter er in seiner Jugend war. War das überhaupt noch der Dichter aus dem Hausarrest, oder stand da ein Intellektueller, dessen Denken und Handeln längst vom politischen Alltag bestimmt wird? Trugen die Aufständischen am Tag des Ceauşescu-Sturzes den Dichter Mircea Dinescu auf ihren Schultern oder den Vorzeigerevolutionär, von dem sie sich die Befreiung vom kommunistischen Joch erhofften?
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 20. August 1991