Dienstag, 24. Februar 2015

Das Drehbuch übertrifft den Roman

Herta Müller sonnt sich im Rampenlicht der Literaturszene

Herta Müller: Der Fuchs war damals schon der Jäger, Roman; Rowohlt Verlag, Reinbeck 1992, 236 S., 36 DM.
Es liegt bereits zwei Jahre zurück, daß Herta Müllers Roman Der Fuchs war damals schon der Jäger im Rowohlt Verlag erschienen ist. Die Kritik hat diesen Romansetzling eher verhalten aufgenommen. Bis dahin kannte man eigentlich nur euphorische (bundesdeutsche) Rezensionen zu Herta Müllers Erzählungen.
Wie sollte unsereins da die neuen Töne aufnehmen? Vielleicht mit einem genüglichen : "Na also, hab' ich's nicht schon immer gesagt?" Unschön, Polemik, Schadenfreude, würde ein Außenstehender sagen. Verständnis könnte er aber dann doch aufbringen, wenn er mit folgender Aussage Herta Müllers konfrontiert wird: "Ich wurde sehr lange gezwungen, das Wort ernst zu nehmen. Sowohl das Wort der Öffentlichkeit als auch das Wort im Privaten. Dann diese Situation, in einer Sprache zu schreiben, die nicht die Landessprache ist; in einer Minderheit aufzuwachsen, mit der man nichts gemein hat." (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Nr. 187, 14./15./16. August 1992).
Nun ist es aber eben diese Minderheit - wenn auch nur ihre Schattenseiten - die Herta Müllers literarischen Durchbruch überhaupt ermöglichte. Das scheinen jetzt auch bundesdeutsche Feuilletonisten erkannt zu haben. Peter von Matt sieht das in der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (Nr. 227, 29. September 1992) so: "Wenn das rumäniendeutsche Bauerndorf den Schauplatz abgibt, ist Herta Müllers gestalterische Souveränität unanfechtbar. Da setzt sie die heikelsten Szenen mit sorgloser Sicherheit. [...] Nun aber hat sie sich an einen politischen Roman gemacht, der unter städtischen Intellektuellen spielt, unter Frauen insbesondere, wie die Autorin eine ist, wach, gescheit und illusionslos. Damit fällt der Blick in die Bauernkammern aus, und die Vorgänge in den Bauernköpfen können nicht mehr in das Spannungsverhältnis treten zum Intellekt der Autorin. Schreibt sie also anders? Sie schreibt gleich. Das führt zu großen Erzählmomenten und zu bedenklichen Einbrüchen. Einerseits gewinnt sie eine eigentümliche Sprache für den Alltag der Unterdrückten, andererseits greift die symbolisierende Verwandlung aller Dinge jetzt oft ins Leere. Da die Folie des archaischen Denkens fehlt, verlieren viele Metaphern die genaue Funktion, werden schwammig und rutschen ins Sentimentale ab."
Nun scheint es fragwürdig, ob es überhaupt möglich ist, das Innenleben einer Minderheit zu sezieren, ohne daran emotional beteiligt zu sein.
Der Ausflug Herta Müllers in eine andere, von ihr als hochkarätiger empfundene Welt, der aber die schicksalhafte Ureigenheit des banatschwäbischen Dorflebens aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fehlte, hat ihre Phantasie zwar wach gehalten, ihr aber keineswegs neue, literarisch höher verwertbare Impulse gegeben. Der Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki meinte sogar in einem "Literarischen Quartett", der Roman Herta Müllers wäre "einfach schlecht". Vernichtend klingt bei Fritz J. Raddatz schon die Überschrift seiner Rezension in DIE ZEIT, Nr. 36 vom 18. August 1992: "Film-Szenen statt Erzähl-Garten: Woran Herta Müllers Roman scheiterte; Pinzetten-Prosa".
Dieser Titel enthält aber das Stichwort, das auf eine gewisse Verwertbarkeit des gewählten Themas (Herta Müller in der SZ Nr. 187: "Es ging mir darum, das Verhältnis zwischen Sexualität und Macht zu zeigen.") hindeutet. Bevor dieses nämlich zum Roman heranreifte, wurde es schon in einem Drehbuch - in einer Zusammenarbeit mit Harry Merkle - verwertet. Als solches hat es dem rumänischen Regisseur Stere Gulea hervorragend gedient (siehe DER DONAUSCHWABE, Nr. 13 von 29. März 1992). Stere Gulea hat am 24. März 1994 für die Regie des Films Vulpe vânător den Preis der rumänischen Uniunea Cineaştilor (Union der Filmschaffenden) bekommen. Dieser rumänische Oscar ist zweifellos auch eine indirekte Anerkennung für die Leistung der Drehbuchautoren Herta Müller und Harry Merkle.
Die teilweise negativen Kritiken für den Roman Der Fuchs war damals schon der Jäger haben dem Ansehen Herta Müllers in den deutschen Literaturkreisen aber keinen Schaden zugefügt. Im Gegenteil, man hat ihr erst kürzlich den Heinrich-von-Kleist-Preis (25.000 DM) verliehen.
Ob negativ oder positiv, das literarische und filmische Ereignis, hervorgerufen von einer trotz allem aus dem Banat stammenden Schriftstellerin, hat Gemüter erregt. Nur die banatschwäbische Kritik schaltete bisher auf stur und bediente sich der im kommunistischen Rumänien üblichen Methode des Totschweigens unangenehmer Querdenker. Oder sollte wirklich kein Deutscher mit Banater Wurzeln sich mit diesem Roman auseinandergesetzt haben? Aber die Chance für eine konstruktive Kritik, aus banatdeutscher Sicht bietet sich bei einer fleißigen Schriftstellerin, wie Herta Müller nun mal eine ist, bestimmt bald wieder. Ihr nächster Roman soll bereits in diesem Herbst erscheinen. 
Mark Jahr  


aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 3. Juli 1994

Dienstag, 17. Februar 2015

Johrmarker Sprich un Sprichelcher - 54

Wann merr de Esel nennt, kummt de Ochs gerennt. 

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Gsammelt vum Frombach Franz alias Gerwer Franz  (1929 - 1999)

Dienstag, 10. Februar 2015

Zugposaune und Mathematik

Begeisterter Jungmusiker aus Jahrmarkt lebt für sein Hobby
Zu den jüngsten Mitgliedern der Loris-Kapelle gehört Reinhard Junginger, 17. Vor zehn Jahren begannen etwa dreißig Jahrmarkter Kinder bei Altmeister Matthias Loris in die Schule zu gehen. Heute beherrschen diese Bläser nicht nur ihr Instrument, sondern bilden auch den Stamm des 44köpfigen Blasorchesters. Reinhard lernte als siebenjähriger die Trommel schlagen, dann wechselte er zum Bassflügelhorn über. Zurzeit bläst er dieses Instrument in der Kapelle und macht auch im Unterhaltungsorchester mit. In diesem 18-Mann-Orchester, das ebenfalls von Prof. Matthias Loris jun. geleitet wird, bläst er allerdings die Zugposaune. "Ich wollte eigentlich das Musiklyzeum besuchen, entschied mich dann aber doch für  eine technische Ausbildung. Ich hatte schon immer viel für Mathematik übrig." Reinhard ist Schüler der XII. Klasse des Temeswarer Lyzeums für Mathematik-Physik Nr. 1. Er möchte einmal Elektrotechnik-Ingenieur werden. Das ist aber kein Hemmschuh für seine musikalische Fortbildung. "Auch später werde ich bestimmt in der Loris-Kapelle mitblasen." Der aufgeschlossene Junge hört auch gerne Musik, vor allem - wie könnte es auch anders sein - Unterhaltungsmusik und Schlager. 
Reinhard Junginger (2.v.r.) musiziert
auch in Deutschland mit
Mathias Loris (1.v.r.)
Seit 1978 besucht er die Temeswarer Volkskunstschule. Die Klasse von Prof. Aurel Roşca für Blasinstrumente umfasst Jungmusikanten aus verschiedenen Banater Ortschaften: so Robert Kessler aus Kleinjetscha, Josef Lambert aus Knes (beide Tuba), und Gerhard Hipp aus Nitzkydorf (Zugposaune). Reinhard hat die großen Erfolge der Loris -Kapelle miterlebt: 1977 wurde die Blaskapelle bei der Endphase des Landesfestivals "CÎNTAREA ROMÂNIEI" der erste Preis und dem Unterhaltungsorchester der dritte Preis zuerkannt. Auch in diesem Jahr waren die Jahrmarkter bei der Landesphase in Bukarest dabei. Voraussichtlich werden sie auch diesmal mit an der Spitze sein.
Balthasar Waitz
aus NEUE BANATER ZEITUNG, Temeswar, 20. Juli 1979

Dienstag, 3. Februar 2015

Heimattage in den Medien

"Wir sind jetzt wieder ein Volk", rief die Präsidentin des Deutschen Bundestages Rita Süssmuth am Pfingstsonntag den im Berliner Reichstagsgebäude versammelten Delegierten der 10. Bundesversammlung zu, die angetreten waren, einen neuen Bundespräsidenten zu wählen. Obwohl diese Wahl die Medienberichte der Pfingstfeiertage beherrschte, hatte man doch den Eindruck, daß die Vertriebenen und Aussiedler auch zu dem endlich geeinten Volk der Deutschen gehören. Trotz des dominierenden innenpolitischen Ereignisses, haben einige Radio- und Fernsehanstalten es nicht versäumt, über die traditionellen Pfingsttreffen der Sudetendeutschen (Nürnberg), Siebenbürger Sachsen (Dinkelsbühl), Bukowinadeutschen (Augsburg) und der Banater Schwaben (Ulm) zu berichten. 
Da diese Veranstaltungen alle im Süden Deutschlands abgehalten werden, wo auch die meisten Mitglieder der betreffenden Landsmannschaften leben, ist es selbstverständlich, daß die bayerischen und süddeutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten aus München und Stuttgart die detailliertesten Berichte sowohl in Nachrichten- als auch in Informations- und Musiksendungen brachten. Radiosendungen wie "Auf da bähmischen Grenz", Musikkultur zwischen Bayern und Böhmen (BR 1); "Wos anne richt'ge Schläsierin is", Volksmusiksendung (BR 2); "Ausflug oder Rückkehr? Eine Reise in die toten Egerlanddörfer" (BR 2) - alle am Pfingstsonntag - und "Deutsche Geschichte im Osten Europas" (BR 2) sowie "Pfingsttreffen der Heimatvertriebenen. Brücken von der alten zur neuen Heimat" (BR 2), vom Pfingstmontag, lassen den hohen Stellenwert erkennen, den die Vertriebenen und Spätaussiedler bei den Programmgestaltern des Bayerischen Rundfunks einnehmen.
Besonders in der letzten der aufgezählten Sendungen wurde ausführlich über die Heimattage berichtet. Mit Worten, die versuchten, Einblick in das Seelenleben einer Gemeinschaft zu gewähren, leitete der Sprecher der Sendung zur Reportage über das Treffen der Banater Schwaben über: "Zum Schluß ein Blick nach Ulm zum Heimattag der Banater Schwaben, die häufig als die Stillen im Lande gelten, aber doch dem eher melancholischen Wort anhängen: 'Und geh'n wir noch soweit, verschweigen und verleugnen kann uns keine Zeit.' Nikolai Dutsch hat sich auf dem Heimattag der Banater Schwaben seine Gedanken gemacht." Der Reporter vermittelte durch seine Tonaufnahmen heimatliche Atmosphäre. Weder Blasmusik noch Kurzinterviews mit spontanen Antworten in (uns) vertrautem Dialekt durften da fehlen. Dann kamen die Festredner zu Wort: Ivo Gönner (Oberbürgermeister von Ulm), Bernd Schmidbauer (Staatsminister im Bundeskanzleramt), Prof. Karl Singer (Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Deutschen) und Jakob Laub (Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben).
Der Berichterstatter hatte als Schwerpunkt seines Sendebeitrages die Problematik "Bleiben oder gehen" der noch im Banat ausharrenden deutschen Menschen gewählt. Eine Antwort konnte keiner der Redner in der Donauhalle geben. Diese Entscheidung muß jeder für sich allein treffen. Während es zur Zeit des Kommunismus relativ einfach war, den Entschluss zum Gehen zu fassen, scheint die Entscheidung heute so manchem, auch angesichts des materiellen und ideellen Engagements der Bundesregierung, einiger deutscher Landesregierungen, vieler deutscher Hilfsorganisationen, zahlreicher Privatpersonen und nicht zuletzt des Hilfswerks der Banater Schwaben, Probleme zu bereiten.
Nikolai Dutsch, der Reporter des Bayerischen Rundfunks, hat anscheinend die Gewissensprobleme der "Noch-Banater" Deutschen erkannt. Er schloß seine Reportage mit der Erkenntnis: "Kaum vorstellbar, daß es einmal eine Zeit gab, da Agenten von Ceauşescus Gnaden von Angehörigen aussiedlungswilliger Banater, in Deutschland Kopfgelder erpreßten. Die Dinge ändern sich eben, auch bei den Banater Schwaben."
Wie schwer es sein kann, zu gehen, zurückzukehren um zu sterben oder um wieder zu gehen, zeigte auch der Fernsehfilm "Fremde liebe Fremde"; BRD 1991; Regie: Jürgen Bretzinger, den das Bayerische Fernsehen am 26. Mai 1994 ausgestrahlt hat. Der Film schildert das Schicksal einer Aussiedlerfamilie aus dem Banat .
Um diese kurze, natürlich bei weitem nicht vollständige Revue der Sendungen, die den Vertriebenen und Aussiedlern an und nach den Pfingsttagen gewidmet waren, mit einer uneingeschränkt positiven Nachricht abzuschließen, sei noch die Meldung des Ulmer Radiosenders S4-Baden-Württemberg vom 25. Mai 1994, 16.30 Uhr, vermerkt. Noch in diesem Herbst soll ein Stiftungsvertrag zur Einrichtung des Donauschwabenmuseums in Ulm zwischen der Stadt Ulm, dem Land Baden-Württemberg und dem Bund abgeschlossen werden. Immerhin geht es dabei nicht nur um ein kulturelles Anliegen aller Deutschen, die Südosteuropa einmal ihre Heimat nannten, oder auch heute noch nennen, sondern auch um stattliche 20 Millionen Mark. Das stete kulturelle Wirken der Landsmannschaften in der deutschen Öffentlichkeit scheint einer neuen Frucht zur Reife zu verhelfen. Ihr Gedeihen legt eine beredtes Zeugnis von unserer steigenden Akzeptanz in der bundesdeutschen Gesellschaft ab. Anträge à la SPD-Bundestagsfraktion (siehe BP, Nr. 9, 5. Mai 1994) scheinen Ausnahmen zu bleiben, die diese Regel bestätigen.                                           
                                                                                                       Anton Potche
aus BANATER POST, München, 20. Juni 1994